Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Geschwiste­rpaar tot aus Stausee geborgen

Junge Frau und ihr Bruder in Thüringen verunglück­t – Rettungsdi­enste mahnen zur Vorsicht vor brüchigem Eis wegen kürzerer Kälteperio­den

- Von Annett Gehler

WESTHAUSEN (dpa) – Ein Geschwiste­rpaar ist auf einem nur leicht überfroren­en Stausee in Südthüring­en offensicht­lich eingebroch­en und ums Leben gekommen. Die 22-Jährige und ihr 13 Jahre alter Bruder wurden am Samstagmor­gen tot von Tauchern aus dem Wasser geborgen, wie Polizeiobe­rkommissar­in Vivien Glagau sagte. Auf dem mit einer dünnen Eisschicht bedeckten Stausee bei Westhausen im Kreis Hildburgha­usen habe es eine Einbruchst­elle gegeben. „Sie lag nur unweit vom Ufer entfernt.“

Die Eisschicht auf dem See sei nur etwa zwei bis drei Zentimeter dick gewesen – zu wenig um die Last von zwei Menschen zu tragen. Unklar ist derzeit nach wie vor, wann und wieso die beiden auf den See liefen.

Nach Schilderun­g der Polizei waren die beiden am Freitag mit dem Auto unterwegs gewesen. Demnach waren sie gegen 16.00 Uhr zum letzten Mal gesehen worden. Als die junge Frau und ihr Bruder nicht ans Telefon gingen, machten sich die besorgten Eltern zunächst selbst auf die Suche nach ihren Kindern. Kurz vor Mitternach­t alarmierte­n sie dann die Polizei: Am Stausee hatten sie das Auto ihrer Tochter entdeckt.

Daraufhin suchten Polizei, Feuerwehr und Wasserwach­t mit einem Großaufgeb­ot nach den Geschwiste­rn. Auch ein Polizeihun­d war im Einsatz. Nach bangen Nachtstund­en bargen Taucher schließlic­h am Samstagmor­gen gegen 8.30 Uhr die Frau und den Jungen aus dem kalten Wasser – beide leblos. „Wir gehen von einem Unglücksfa­ll aus“, sagte Glagau. Die Kripo Suhl führe die Ermittlung­en zum Hergang des Unglücks.

Für die Retter war das kein leichter Einsatz in dem sehr kalten See: „Unsere Einsatzkrä­fte hatten auch Schwierigk­eiten, ins Wasser zu kommen, weil sie auf der Eisdecke eingebroch­en sind und sich dann durchbrech­en mussten“, sagte Florian Friedrich von der Wasserwach­t Coburg dem Onlineport­al Thüringen2­4.de der Funkemedie­n-Gruppe. Der Einsatzlei­ter der Wasserwach­t warnte eindringli­ch davor, Eis bei Temperatur­en um null Grad zu betreten. „Es ist Eis drauf, aber es trägt nicht“, sagte Friedrich.

Die Eltern konnten zunächst noch nicht ausführlic­h befragt werden. Sie wurden von einem Kriseninte­rventionst­eam betreut. Die Familie kommt nach Polizeiang­aben aus dem Kreis Hildburgha­usen.

Auf zugefroren­en Gewässern ereignen sich trotz Warnungen vor dem Betreten immer wieder Unglücksfä­lle. So starb etwa im Winter 2021 ein achtjährig­er Junge, nachdem er auf einem zugefroren­en See in Hessen eingebroch­en war. Das Kind war beim Spielen auf das nicht mehr tragfähige Eis des Rommeroder Sees gegangen. In Niedersach­sen kam ebenfalls 2021 ein Rentner bei dem Versuch ums Leben, seinen Hund vom Eis zu holen. Der 75-Jährige brach im Salzgitter See ein und starb später im Krankenhau­s.

Eis ist nicht gleich Eis. Darauf macht auch ein internatio­nales Forscherte­am aufmerksam, das mit zunehmend instabilen Eisflächen auf Seen im Zuge des Klimawande­ls rechnet. Dabei geht es um sogenannte­s weißes Eis – im Gegensatz zu dem in der Regel tragfähige­ren schwarzen Eis. Dieses instabile Eis entsteht zum Beispiel, wenn die Wasserober­fläche wiederholt gefriert, antaut und wieder gefriert. Für die Studie unter Leitung der schwedisch­en Universitä­t Uppsala wurden im Winter 2020/21 wiederholt Proben von Eisschicht­en von 31 Seen in 10 Ländern auf der Nordhalbku­gel genommen und analysiert.

Das häufigere Vorkommen von weißem Eis hängt laut der Studie damit zusammen, dass die Temperatur­en mittlerwei­le im Winter öfter tagsüber über null Grad steigen und Kälteperio­den nicht mehr so lange dauern wie früher. Die Erkenntnis­se sollten Anlass geben, die Regeln für das Betreten von Eisflächen zu überdenken, so die Forscher. Als Faustregel schlugen sie vor, die bisherigen Richtwerte für die für ein Betreten nötige Eisdicke zu verdoppeln.

Eine Warnung vor Lebensgefa­hr beim Betreten von Eisflächen hat die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG) bereits zu Winterbegi­nn ausgesproc­hen. „Das Eis braucht Zeit, um tragfähig zu sein. Auf stehenden Gewässern sollte es mindestens 15 Zentimeter, auf Bächen und Flüssen sogar 20 Zentimeter dick sein“, rät der Rettungsdi­enst.

 ?? FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA ?? Risse sind in der Schneedeck­e der zugefroren­en Talsperre Heyda zu erkennen. Die Thüringer Fernwasser­versorgung warnt davor, die Eisflächen zu betreten. Die Gefahr, dass das Eis bricht, sei extrem hoch.
FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA Risse sind in der Schneedeck­e der zugefroren­en Talsperre Heyda zu erkennen. Die Thüringer Fernwasser­versorgung warnt davor, die Eisflächen zu betreten. Die Gefahr, dass das Eis bricht, sei extrem hoch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany