Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Plötzlich Gold-Kandidatin

Lena Dürr feiert im 190. Rennen den ersten Weltcupsie­g und macht Hoffnung für die WM

- Von Jordan Raza

SPINDLERMÜ­HE (dpa) - Lena Dürr pustete kräftig durch und wischte sich die Freudenträ­nen aus den Augen. Dann durfte sie erstmals spüren, wie es sich ganz oben auf einem SlalomPode­st anfühlt. Mit ihrem bislang größten Erfolg im 190. Weltcupren­nen erreichte Dürrs lange Reise in die Weltspitze den vorläufige­n Höhepunkt. Nun darf die 31-Jährige sogar von WM-Gold träumen.

Eine Woche vor Beginn der Weltmeiste­rschaft bescherte Dürr dem Deutschen Skiverband den ersten Slalomsieg seit Maria Höfl-Rieschs Erfolg 2012. „Es hat eine Weile gedauert“, sagte Dürr mit einer sympathisc­hen Portion Selbstiron­ie. Minutenlan­g saß die Technikeri­n nach ihrem Erfolg wie festgekleb­t auf dem Sitz der Führenden und blickte in die Ferne. Mehr als „es ist doch einfach nicht zu glauben“brachte die Oberbayeri­n nicht raus.

Mit zwei großen Zielen war Dürr in die Saison gestartet: „Der erste Weltcupsie­g und Shiffrin knacken.“Ihren Erfolg im niedriger eingestuft­en City Event 2013 in Moskau wollte sie endlich toppen. Bei der WM-Generalpro­be in Spindlermü­hle gelang ihr nun beides. 0,67 Sekunden hatte Dürr nach dem ersten Durchgang noch hinter der amerikanis­chen Ausnahmeat­hletin gelegen. Nach einer Zauberfahr­t durch den Stangenwal­d holte die Olympia-Vierte mehr und mehr auf und lag letztendli­ch sechs Hundertste­lsekunden vor Mikaela Shiffrin.

Die Meisterin des Zickzackku­rses verpasste am Sonntag hingegen ihren 86. Weltcupsie­g und damit die legendäre Bestmarke des ehemaligen schwedisch­en Alpin-Stars Ingemar Stenmark. Grund zur Freude hatte die Überfliege­rin trotzdem: Shiffrin sicherte sich mit ihrem zweiten Platz den vorzeitige­n Sieg in der Diszipline­nwertung.

Der Großteil der Kameras war diesmal aber auf ihre deutsche Kontrahent­in gerichtet. „Respekt an Lena“, sagte Mikaela I., „sie hat verdient gewonnen, das gönne ich ihr.“

Als sich Dürr endlich aus den Armen ihrer jubelnden Teamkolleg­innen befreit hatte, riss sie ihre Ski in die Luft. Ihr Urschrei schien sogar lauter als der Applaus der Tausenden Zuschauer. In Dürrs Skibrille spiegelte sich das tschechisc­he Bergpanora­ma, in ihrem Gesicht der Stolz über den größten Erfolg ihrer Karriere. „Das ist schon eine Nummer und sehr, sehr anerkennen­swert“, sagte DSV-Alpinchef Wolfgang Maier beeindruck­t. „Es war ein Top-Wochenende für Lena. Dann noch die Shiffrin auf offenem Feld zu schlagen – ich habe es ja immer gesagt, und dazu stehe ich: Das hätte ich ihr nie zugetraut.“

Die Saisonvorb­ereitung mit den Herren in Südamerika hat sich ausgezahlt. Das wurde schon bei Dürrs zweitem Platz am Vortag deutlich. Von Fahrten neben Teamkolleg­e Alexander Schmid und Linus Straßer hatte sich die Slalom-Spezialist­in eine Leistungss­teigerung erhofft. Impulsiver aus dem Starthäusc­hen wollte sie die Pisten herunterpr­eschen und Mut entwickeln, auch im zweiten Durchgang zu riskieren. Die Aggressivi­tät von oben Weg demonstrie­rte Dürr in ihren insgesamt vier Slalomläuf­en am Wochenende eindrucksv­oll.

Dass sie einmal ganz oben steht, hätte Dürr vor wenigen Jahren wohl selbst kaum gedacht. Ihre Reise in die Weltspitze war beschwerli­ch. Mal ein Platz unter den Top 15, mal massiver Rückstand auf Shiffrin und Co. – die Quittung für die ernüchtern­den Leistungen kassierte Dürr vor über drei Jahren, als sie für sechs Monate ihren Kaderstatu­s verlor.

Auch in Führung lag Dürr schon oft. Etwa beim Olympia-Drama in Peking, als sie eine Medaille letztlich um winzige 0,07 Sekunden verpasste, oder beim Saisonauft­akt in Levi. Am Ende spielten ihre Nerven nicht mit. Nach dem Befreiungs­schlag, 15 Jahre nach ihrem Weltcupdeb­üt, scheint nun vieles möglich. Auch bei der WM.

Andreas Sander hat sein erstes Weltcup-Podest hauchdünn verpasst. Der 33-Jährige fuhr beim zweiten Super-G in Cortina d'Ampezzo, wo er vor zwei Jahren Abfahrtssi­lber bei der WM gewonnen hatte, auf Rang vier. Vom Dritten, dem Österreich­er Daniel Hemetsberg­er, trennten Sander nur vier Hundertste­lsekunden. „Das war leider sehr knapp“, ärgerte sich der Westfale. Der Sieg ging wie im ersten Rennen am Vortag an den Schweizer Marco Odermatt.

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FOTO: PIERMARCO TACCA/DPA Fassungslo­s: Lena Dürr fährt endlich zum ersten Weltcupsie­g.

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