Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein neuer Fall Sarrazin droht
Hans-Georg Maaßen, Thilo Sarrazin, Boris Palmer, Sahra Wagenknecht – vier Politiker unterschiedlichster Couleur, über deren Parteiausschluss diskutiert wurde oder wird. Die jeweils kritisierten Aussagen mögen sich inhaltlich und in ihrer Radikalität unterscheiden, allerdings haben die Sätze doch eines gemeinsam: Sie bieten oder boten die Möglichkeit, auch in der AfD oder bei deren Anhängern anschlussfähig zu sein. Darüber mögen sich die jeweiligen Parteigranden von Union, SPD, Grünen und Linken ärgern. Schließlich besteht Einigkeit, mit den Rechtspopulisten in Bund und Ländern nicht zusammenzuarbeiten oder zu koalieren. Die viel beschworene Brandmauer ist richtig und wichtig. Dennoch erscheint es nicht klug, der AfD all ihre offenkundigen Lieblingsthemen zu überlassen – vor lauter Angst, sich daran die Finger zu verbrennen.
Dass sich Maaßen hierbei mit seinen „Rassenlehre“-Aussagen im Ton komplett vergriffen hat, steht außer Frage. Es war der Tiefpunkt einer Reihe von Provokationen. Auch dass die CDU-Führung nun Druck macht, ist nachvollziehbar. Dennoch bleibt die Frage, ob sich die Partei mit einem Ausschlussverfahren einen Gefallen tun würde. Denn es droht quasi ein christdemokratischer Fall Sarrazin. Drei Anläufe waren bei den Genossen vonnöten, ehe sie 2021 erfolgreich waren mit dem Parteiausschluss des streitbaren Autors.
Besser, als langwierige interne Verfahren voranzutreiben, wäre für die einstigen Volksparteien, sich mit Energie der Dauerbrenner-Themen Migration und Abschiebungen zu widmen. Denn wenn sie der AfD den Wind aus den Segeln nehmen wollen, dann am besten mit sachorientierter Politik, die Bürgerinnen und Bürgern echte Lösungen anbietet.
Nein, dies darf nicht dazu führen, in die Rhetorik der Populisten abzugleiten. Angesagt sind offene, wohlbedachte Worte, denen politische Beschlüsse oder Gesetzesänderungen folgen müssen. Mit wohlfeilen Worthülsen und Debattiergipfeln ist keinem geholfen. Die Probleme bei der Zuwanderung nicht direkt anzusprechen, macht es der AfD leicht zu poltern, ohne eigene Lösungsansätze zu präsentieren. Am Ende interessiert die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler doch weitaus mehr, was eine Partei im politischen Alltag bewirkt. Ein weiteres Parteiausschlussverfahren, wie jetzt womöglich im Fall Maaßen, ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD.