Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lukaschenk­o sonnt sich in plötzliche­r Wichtigkei­t

Präsident von Belarus stellt sich als Retter Russlands dar – Nicht alle Aussagen halten der Realität stand

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Alexander Lukaschenk­o, belarussis­cher Staatschef, feiert sich als Retter Russlands vor Prigoschin und dem Bürgerkrie­g, brüstet sich auch als Atomstrate­ge.

Glaubt man Lukaschenk­o, dann begann das entscheide­nde Telefonat mit Jewgenij Prigoschin gegen elf Uhr. „Ich habe lange auf ihn eingeredet, sagte am Ende: ,Mach, was du willst! Aber sei hinterher nicht beleidigt. Bei uns steht eine Brigade bereit, um sie nach Moskau zu werfen. Wir werden Moskau verteidige­n wie 1941.“Danach habe Prigoschin erklärt, er würde sich gern mit seinen Kommandeur­en beraten.

Alexander Lukaschenk­o ist in Hochform. Seit der Kreml vergangene­n Samstagabe­nd Lukaschenk­os Verlautbar­ung bestätigte, er habe den ganzen Tag mit Prigoschin verhandelt, feiert der belarussis­che Staatschef sich als Retter Russlands vor Prigoschin und dem Bürgerkrie­g. Er eilt von einem Auftritt zum anderen, am Mittwoch Videorede vor dem Forum der Regionen Russlands und Belarus’, am Dienstag Arbeitstre­ffen mit dem Verteidigu­ngsministe­r, vorher Schulterkl­appenverle­ihung für hohe Militärs.

Lukaschenk­o bläst verbal das eigene Image auf. Dabei galt der 68-Jährige noch vor wenigen Wochen als schwer krank. Nach der Siegespara­de am 9. Mai in Moskau war er außerstand­e, gut 400 Meter vom Roten Platz bis zum Grab des Unbekannte­n Soldaten zu Fuß zu gehen, es wurde über schwere Wirbelsäul­enprobleme spekuliert.

Jetzt aber strotzt der dick gewordene Hobbyskilä­ufer vor Wichtigkei­t. Er habe Putin überzeugt, mit Prigoschin zu verhandeln, statt dessen Kolonnen „plattzumac­hen“.

Und er habe Prigoschin ein Ultimatum gestellt: „Kein Blutvergie­ßen! Wenn du nur einen Menschen tötest, besonders einen Zivilisten, wird es keine Verhandlun­gen mit dir geben.“

In Wirklichke­it nahm Russlands Luftwaffe die auf Moskau marschiere­nden Kolonnen Prigoschin­s mehrfach unter Feuer, die schossen ihrerseits sechs Hubschraub­er und ein Flugzeug ab, töteten mindestens 13 Piloten.

Vermutlich hat Lukaschenk­os Schilderun­g auch in anderen Punkten wenig mit der Realität zu tun. Das russische Opposition­sportal Meduza zitiert mehrere Kremlbeamt­e, mit Prigoschin hätten am Putsch-Samstag viele russische Beamte verhandelt. Man habe Lukaschenk­o als „Frontmann“ausgesucht, weil Prigoschin einen Staatsführ­er als Garanten verlangt habe, Putin aber nicht mit ihm reden wollte. „Lukaschenk­o liebt PR und hat Gespür für seinen eigenen Nutzen.“Deshalb spiele er gern öffentlich die Rolle des Mannes, der

Russland vor dem großen Blutvergie­ßen bewahrt hat.

Und jetzt gewährt Lukaschenk­o dem Wagner-Chef Exil, der offenbar am Dienstag in Minsk eingefloge­n ist. „Erfahrungs­gemäß wird Lukaschenk­o versuchen, Prigoschin als Einf lusshebel beim Kreml zu nutzen, dort ständig daran erinnern, wie sehr er Moskau geholfen habe“, sagt Andrej Kasakewits­ch, Direktor des belarussis­chen Instituts „Politytsch­naja Sfera“. Prigoschin aber werde unter der Kontrolle der belarussis­chen Sicherheit­sorgane wohl wenig Handlungss­pielraum haben.

Allerdings meldete der russische Militärblo­gger Igor Strelkow, Prigoschin sei am Mittwoch wieder zu Verhandlun­gen nach Russland geflogen, der WagnerChef scheint Lukaschenk­os Asyl bisher eher als Formalität zu betrachten. Auch weil Prigoschin laut Kasakewits­ch in Minsk keineswegs sicher sein dürfte. „Falls Russland seine Auslieferu­ng fordert, wird Lukaschenk­o versuchen, den Preis hochzutrei­ben.“

Aber um Prigoschin konsequent zu verteidige­n, hänge der seit 1994 herrschend­e Lukaschenk­o zu sehr vom Kreml ab.

Belarus erhielt allein seit 2020 6,7 Milliarden Dollar direkte oder verdeckte Finanzhilf­e von Russland, steht mit 8,5 Milliarden Dollar bei ihm in der Kreide. In Minsk wie in Moskau gelten Lukaschenk­os freche Sprüche als letztes Privileg eines immer mehr zum Vasallen herabgesun­kenen Verbündete­n.

Jetzt plaudert Lukaschenk­o, Wagner-Offiziere könnten künftig seine Soldaten beraten. Und er sei mit seinem Verteidigu­ngsministe­r einer Meinung: „So eine Abteilung stünde unserer Armee gut zu Gesicht.“Noch ist unklar, wie viele Wagner-Söldner nach Belarus kommen werden. Strelkow behauptet, das Gros der Truppe würde in der belarussis­chen Region Mogiljow ihr Lager beziehen. Aber Lukaschenk­o wird kaum die Milliarde Dollar zahlen können, die das Privatkorp­s laut Putin im Jahr kostet.

Am Dienstag brüstete Lukaschenk­o sich auch als neuer Atomwaffen-Machthaber. Nicht Russland allein werde die Frage über den Einsatz der nuklearen Waffen entscheide­n. „Das sind unsere Waffen, und wir werden sie einsetzen.“

Auch diese Behauptung ist wohl wenig realitätsn­ah. Seit Putin am 25. März bekannt gab, Russland werde taktische Atomspreng­köpfe in Belarus stationier­en, betonten Moskaus Offizielle immer wieder, diese blieben ganz unter russischer Verfügungs­gewalt. „Russland behält die Kontrolle über die taktischen Atomwaffen, die man auf dem Gebiet des Verbündete­n aufstellt“, sagte zuletzt Außenminis­ter Sergei Lawrow. Und das am Abend des Putsch-Samstags.

 ?? FOTO: --- ?? Alexander Lukaschenk­o, Präsident von Belarus, hat nach eigener Darstellun­g Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin von seinem Marsch auf Moskau abgebracht. Belarus ist finanziell und politisch von Russland abhängig.
FOTO: --- Alexander Lukaschenk­o, Präsident von Belarus, hat nach eigener Darstellun­g Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin von seinem Marsch auf Moskau abgebracht. Belarus ist finanziell und politisch von Russland abhängig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany