Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Deutschland verliert den Anschluss
Bundesrepublik als Standort zunehmend unattraktiver – Dänemark, Irland und Schweiz top
BERLIN - Deutschland ist nur noch bedingt wettbewerbsfähig. Dies geht aus dem diesjährigen „World Competitiveness Ranking“der privaten Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne (Schweiz) hervor. Von 64 Volkswirtschaften weltweit belegte die Bundesrepublik hinter China und vor Israel den 22. Platz. Nach Platz 15 im Vorjahr büßte Deutschland damit satte sieben Plätze ein. Nur Litauen stürzte mit 16 Plätzen tiefer ab, Luxemburg (von 13 auf 20) und Ungarn (von 39 auf 46) verloren ähnlich stark an Boden.
Die Volkswirtschaften mit den attraktivsten Bedingungen für Unternehmen sind Dänemark, Irland und die Schweiz. Ebenfalls in den Top Ten finden sich Singapur, die Niederlande, Taiwan, Hongkong, Schweden, die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate wieder. Den größten Sprung nach vorne schaffte in diesem Jahr Indonesien, das um zehn Plätze (von 44 auf 34) aufstieg. Auch Irland (von elf auf zwei), Belgien (von 21 auf 13) und Tschechien (von 26 auf 18) konnten sich deutlich verbessern. Andere europäische Länder wie Österreich (Platz 24), Großbritannien (29), Frankreich
(33), Spanien (36) und Italien (41) schnitten schlecht ab. Die letzten Plätze belegten Botswana, Brasilien, Südafrika, die Mongolei, Argentinien und Venezuela.
Wie sind die IMD-Befunde aus deutscher Sicht einzuordnen? Zunächst einmal bekräftigen sie Warnungen aus der Wirtschaft, die bereits eine Abwanderung von Firmen aus Deutschland registrieren. So offenbarte jüngst eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), dass 16 Prozent der Unternehmen des industriellen Mittelstands in Deutschland derzeit bereits dabei sind, Arbeitsplätze und Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern. Weitere 30 Prozent tragen sich konkret mit Abwanderungsgedanken.
Eine Mehrzahl der Unternehmen benannte die hohen Arbeitskosten und den Fachkräftemangel (76 Prozent) sowie die hohen Energie- und Rohstoffpreise (62 Prozent) als Standortschwächen. 37 Prozent der industriellen Mittelständler kritisierten zudem den hohen bürokratischen Aufwand und langwierige Genehmigungsverfahren, weitere 25 Prozent der Firmen beklagten eine allgemeine Infrastrukturschwäche in Deutschland, vor allem in den Bereichen Verkehr, Digitales und Energie.
Die IMD-Studie bestätigt diese Befunde in Teilen. Bei der Bewertung wurden 336 Kriterien aus den Bereichen Wirtschaftsleistung, Infrastruktur, wirtschaftliche Effizienz und Effizienz der öffentlichen Hand herangezogen. Diese bestehen zum einen aus harten ökonomischen Fakten und zum anderen aus den Einschätzungen von Firmenlenkern, die aus einer Umfrage unter 6400 Managern gewonnen wurden. Während die Bundesrepublik in den ersten beiden Bereichen mit den Plätzen zwölf und 14 noch recht gut abschneidet, fällt sie bei der Effizienz der Verwaltung (Platz 27) und der Wirtschaft (Platz 29) stark zurück.
Mit dem dritten Platz erzielte die Bundesrepublik ihren mit Abstand besten Wert im Teilbereich „Wissenschaftliche Infrastruktur“, während sie bei der „Basisinfrastruktur“nur den 32. Platz erreichte. Auch bei Gesundheit und Umwelt liegt Deutschland mit Platz sieben relativ weit vorne. Katastrophal hingegen sieht es bei der Steuergesetzgebung und den Lebens- und Geschäftskosten für Bürger und Unternehmen aus, hier landete Deutschland unter 64 Nationen auf den Plätzen 53 und 60. Auch beim realen Wirtschaftswachstum belegte Deutschland einen beängstigenden 59. Platz.
Zur Wahrheit gehört auch, dass sich derzeit vor allem kleine Länder leichter tun. Unter den 27 Nationen mit einer Einwohnerzahl von mehr als 20 Millionen belegt Deutschland als bestes europäisches Land Rang sieben. Unter den Volkswirtschaften, die stark zulegen und sich entsprechend weit vorne positionieren konnten, sind wiederum auffällig viele kleine Länder. Das legt die Vermutung nahe, dass wendigere Volkswirtschaften leichter durch die Krisen navigieren konnten.
Die Schweizer Wirtschaftshochschule IMD veröffentlicht ihr Ranking zur internationalen Standortattraktivität seit 35 Jahren. Deutschland schnitt in der Vergangenheit schon einmal schlechter ab als dieses Jahr: 2006 belegte die Bundesrepublik nur den 25. Platz, auch die Jahre davor waren von einer abnehmenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit geprägt. Anschließend folgte ein kontinuierlicher Aufstieg bis Platz sechs im Jahr 2014. Danach setzte ein bis heute anhaltender Abwärtstrend ein.