Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Große Unsicherhe­it über wahre Zahl von Hitzetoten

Im Durchschni­tt fast 1500 Klinikbeha­ndlungen pro Jahr wegen extremer Temperatur­en

- Von Oliver Pietschman­n

WIESBADEN (dpa) - Sonnenstic­h, Hitzschlag und andere gesundheit­liche Probleme: Das RobertKoch-Institut (RKI) und auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) gehen von Tausenden Toten infolge extremer Hitze jedes Jahr aus und rechnen durch den Klimawande­l mit steigenden Zahlen.

Doch geht es um Hitze als direkte Todesursac­he, liegen die offizielle­n Zahlen deutlich darunter, wie aus einer Mitteilung des Statistisc­hen Bundesamts von Mittwoch hervorgeht. Für eine Wissenscha­ftlerin ist das ein Grundprobl­em bei der Erfassung.

Die Statistike­r sehen für die Jahre 2001 bis 2021 durchschni­ttlich knapp 1500 Krankenhau­sbehandlun­gen durch extreme Hitze und Sonne im Jahr. „Als direkte Todesursac­he lässt sich Hitze bei durchschni­ttlich 19 Fällen pro Jahr allerdings selten feststelle­n“, schreibt das Bundesamt. In vielen Fällen erhöhe sich durch die Kombinatio­n aus Hitze und Vorerkrank­ungen jedoch die Sterblichk­eit. „So stiegen in von Hitzeperio­den geprägten Wochen die Sterbefall­zahlen auch in den vergangene­n Sommern an“, heißt es in einer Mitteilung.

„Das zeigt das Grundprobl­em, das wir haben“, sagte Umweltmedi­zinerin Claudia Traidl-Hoffmann von der Universitä­t Augsburg der Deutschen Presse-Agentur. Die vom Statistika­mt genannten 19 Fälle pro Jahr seien sehr wahrschein­lich Menschen, die draußen gearbeitet hätten, kerngesund waren und an einem Hitzschlag gestorben sind.

„Das Grundprobl­em ist für mich, dass Hitze als Todesursac­he meistens gar nicht in Erwägung gezogen wird, weil da ein Mensch mit Herzinfark­t auf dem Reanimatio­nstisch liegt, verstirbt und dann eben einfach an dem Infarkt gestorben ist.“Dass aber gleichzeit­ig seit Tagen 35 Grad draußen waren, werde nirgends erfasst.

Dabei werde zwar nicht die falsche Todesursac­he angegeben. „Die ist ja im Körper tatsächlic­h der Herzinfark­t“, sagte TraidlHoff­mann. Die Frage sei aber, wodurch dieser ausgelöst beziehungs­weise getriggert worden sei, und hier habe die Hitze mit hoher Wahrschein­lichkeit einen großen Anteil.

„Wir haben selbst bei uns in der Notaufnahm­e schon Menschen gehabt, die den ganzen Tag draußen in der Sonne gearbeitet haben und dann mit einer Kerntemper­atur von 43 Grad zu uns kamen“, sagte die Wissenscha­ftlerin über die eindeutige­ren Fälle bei Hitzetoten. Ein Patient sei am Ende dann an einer Gerinnungs­störung gestorben.

„Die Übersterbl­ichkeit ist die bessere Methode, wirklich hitzebedin­gte, hitzeverbu­ndene Erkrankung­en und Todesfälle zu registrier­en.“Das sei wie eine Gleichung mit mehreren Variablen. „Die Variable Hitze und Umweltfakt­oren generell sind in dieser Gleichung etwas, was in den Köpfen vieler Medizineri­nnen und Mediziner noch gar nicht gedacht wird, aber einen großen Anteil hat.“

Überdurchs­chnittlich viele hitzebedin­gte Behandlung­en in Krankenhäu­sern und Todesfälle habe es in Deutschlan­d in den Jahren mit vielen Hitzetagen über 30 Grad gegeben, hieß es auch bei den Statistike­rn.

Zurzeit leiden besonders Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankung­en unter der Wetterlage. Sie sollten sich schonen und auf ungewohnte Anstrengun­gen verzichten. Bei Wetterfühl­igen kommt es zu Kopfschmer­zen. Bei vielen ist die Leistungsf­ähigkeit herabgeset­zt. Rheumakran­ke müssen sich auf eine Verschlimm­erung ihrer Schmerzen einstellen. Gräserpoll­en fliegen mäßig bis stark, Roggenpoll­en schwach.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Sind die Temperatur­en über 30 Grad Celsius, leidet oft die Gesundheit – bis hin zum Hitzetod.

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