Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Furcht vor einem Flächenbra­nd

Angriffe im Roten Meer und Anschlag im Iran – Dem Pulverfass Nahost droht die Explosion

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Nur wenige Stunden nach dem Terroransc­hlag im iranischen Kerman stand für die Hamas schon fest, wer als Hauptnutzn­ießer der Gewalttat ins Visier genommen werden müsse: Israel. Die Bomben von Kerman dienten den Interessen des jüdischen Staates, erklärte die militante Palästinen­sergruppe, die im Gazastreif­en gegen Israel kämpft. Auch iranische Politiker gaben Israel die Schuld an dem Tod von mindestens 95 Menschen in Kerman, und Revolution­sführer Ali Khamenei kündigte Vergeltung an. Zwar bekannte sich der „Islamische Staat“(IS) zu dem Anschlag. Doch die Schuldzuwe­isung an Israel nach den Eskalation­en der jüngsten Zeit lässt die Furcht vor einem regionalen Flächenbra­nd wachsen. Ein Überblick.

Der IS erklärte, zwei seiner Kämpfer hätten sich während einer Gedenkfeie­r für den vor vier Jahren getöteten General Qassem Soleimani in Kerman in die Luft gesprengt.

Zuvor hatte das iranische Staatsfern­sehen regimetreu­e Demonstran­ten in mehreren Städten des Landes gezeigt, die „Nieder mit Israel“und „Nieder mit Amerika“riefen. An diesem Freitag sind weitere Kundgebung­en der Regierung geplant. Soleimani, der aus Kerman stammte, war im Januar 2020 von den USA mit einem Drohnenang­riff im Irak getötet worden.

Israels Geheimdien­st Mossad hat zwar mehrmals Mordanschl­äge im Iran verübt, dabei aber immer gezielt Offiziere der Revolution­sgarde oder Experten des iranischen Atomprogra­mms getötet. Ein Bombenansc­hlag wie in Kerman gehöre nicht zu Israels Methoden, sagt der Iran-Experte Arash Azizi, Autor eines Buches über Soleimani. Auch die Tatsache, dass keine hochrangig­en Revolution­sgardisten unter den Opfern seien, spreche gegen eine israelisch­e Verwicklun­g, sagte Azizi unserer Zeitung. Der türkische Iran-Experte Arif Keskin sagte ebenfalls, Israel gehe in seinem Schattenkr­ieg gegen den Iran ganz anders vor. Auch aus US-Regierungs­kreisen verlautete, der Anschlag von Kerman trage die Handschrif­t des IS.

Der radikal-sunnitisch­e IS hatte bereits im vorigen Jahr und 2022 Bombenansc­hläge im schiitisch­en Iran verübt. Soleimani befehligte vor zehn Jahren den Feldzug iranischer Truppen gegen den IS im Irak und hatte großen Anteil an der Vertreibun­g des IS aus dem Land.

Der Anschlag von Kerman habe das iranische Regime geschwächt, sagte Keskin. Teheran preise die Islamische Republik immer als „Insel der Stabilität“im Nahen Osten an. Nun müsse sich die Regierung vorwerfen lassen, die eigene Bevölkerun­g nicht schützen zu können.

Der Terror von Kerman ist der neue Höhepunkt einer Eskalation­sspirale in Nahost, die mit dem Gaza-Krieg im Oktober begann. Zunächst gab es außerhalb von Gaza lediglich Scharmütze­l zwischen Israel und der Hisbollah an der israelisch-libanesisc­hen Grenze. Doch dann begannen die iranisch unterstütz­ten Huthi-Rebellen

im Jemen mit Angriffen auf Handelssch­iffe im Roten Meer, um die Hamas zu unterstütz­en. Die Huthis drohen zudem mit Angriffen auf US-Kriegsschi­ffe in der Gegend; bei einem Gefecht am Neujahrsta­g tötete die US-Marine zehn Huthi-Kämpfer. US-Außenminis­ter Antony Blinken will in den kommenden Tagen bei einem Besuch im Nahen Osten die Möglichkei­ten für eine neue Feuerpause in Gaza sondieren, um die Lage in der Region zu beruhigen.

Zur iranisch unterstütz­ten „Achse des Widerstand­s“gegen Israel gehören neben den Huthis und der Hisbollah auch das Regime in Syrien sowie pro-iranische Milizen im Irak. Ein israelisch­er Luftangrif­f in der Nähe von Damaskus am Ersten Weihnachts­tag tötete den iranischen General Sajed Razi Musavi, den wichtigste­n iranischen Offizier in Syrien. Am Dienstag starb der stellvertr­etende Hamas-Chef Saleh al Aruri bei einem mutmaßlich­en israelisch­en Luftschlag in Beirut. Einen Tag später folgte der Anschlag von Kerman. Am Donnerstag starben mindestens vier pro-iranische Kämpfer in der irakischen Hauptstadt Bagdad bei einem Drohnenang­riff auf das Hauptquart­ier ihrer Miliz.

Aus dieser Kette von Gewalttate­n sollte aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Kontrahent­en Iran und Israel einen Krieg beginnen wollen, meint Iran-Experte Azizi. „Der Iran weiß, dass eine größere regionale Auseinande­rsetzung reiner Selbstmord wäre“, sagte er unserer Zeitung. Khamenei wolle keine direkte Auseinande­rsetzung mit mächtigen Staaten wie Israel und den USA. HisbollahC­hef Hassan Nasrallah ließ nach dem Tod von Aruri durchblick­en, dass seine Kämpfer vorerst keinen Großangrif­f gegen Israel starten werden. Die israelisch­e Armee erklärte, sie konzentrie­re sich auf den Krieg gegen die Hamas in Gaza.

Doch auch wenn Israel und der Iran kein Interesse an einem neuen Krieg haben, wächst die Gefahr, dass sie wegen der Spannungen um den Gaza-Konflikt in einen bewaffnete­n Konf likt hineinstol­pern. Anschläge wie der von Kerman bergen das Risiko weiterer Eskalation­en, meint Azizi: „Die Dinge können aus dem Ruder laufen, obwohl keine der beiden Seiten das will.“

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FOTO: SARE TAJALLI/AFP Verletzte, die sich nach den Bombenansc­hlägen von Kerman im Iran am Mittwoch in Sicherheit bringen.

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