Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Wir müssen ums Angebot kämpfen
Flughafenchef Claus-Dieter Wehr über aktuelle Herausforderungen und neue Chancen
FRIEDRICHSHAFEN - Coronabedingte Einschränkungen hat es für den Flughafen Friedrichshafen 2023 zwar nicht mehr gegeben, an Herausforderungen mangelt es aber weiterhin nicht. Im Interview spricht Claus-Dieter Wehr, Geschäftsführer des BodenseeAirports, unter anderem über Gründe für das überschaubare Flugangebot trotz großer Nachfrage, sich veränderndes Reiseverhalten, neue Chancen für den Regionalflugverkehr und die Hintergründe des geplanten Energieparks am Häfler Flughafen
Für den Bodensee-Airport ist das erste „normale“Jahr seit Ausbruch der Corona-Pandemie und nach Abschluss des Insolvenzverfahrens zu Ende gegangen. Wie weit sind Sie noch entfernt vom Niveau von 2019?
Von dem sind alle deutschen Flughäfen noch weit entfernt. Das Winterprogramm des Luftverkehrs in Deutschland liegt insgesamt bei 81 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Bei uns ist das ähnlich. Rest-Europa hat das Vor-Corona-Niveau schon wieder erreicht. Dass Deutschland das noch nicht geschafft hat, liegt vor allem an den hohen staatlichen Steuern und Gebühren für die Airlines. In Friedrichshafen haben wir dann noch einige Spezialfaktoren. Wir gehören zu den kleinsten Flughäfen in Deutschland, die natürlich nicht so im Fokus der Fluggesellschaften und Reiseveranstalter stehen. Wir müssen deshalb um das Angebot immer kämpfen, obwohl die Nachfrage erwiesenermaßen da ist. Das Angebot, das wir 2023 im Programm hatten, wurde sehr stark genutzt. Die Flugzeuge waren durchweg voller als 2022. Das Angebot war aber leider kleiner als 2022.
Eigentlich ist die Bezeichnung „normal“ja auch für das laufende Jahr nicht so richtig passend, weil die Welt von einer Krise in die nächste schlittert. Wie wirken sich solche Krisen aus?
Nichts ist mehr normal. Die Flüge nach Hurghada zum Beispiel waren super gut nachgefragt – bis zur Eskalation des Nahost-Konflikts, die die Nachfrage abrupt gestoppt hat. Bis Februar sind deshalb sieben Flüge gestrichen worden. Ein anderes Beispiel: die Waldbrände auf Rhodos. Die haben uns im Sommer leere Flugzeuge beschert – was aber natürlich auch verständlich ist.
Corona hat dazu geführt, dass Geschäftstreffen in virtuelle Räume verlegt wurden. Auch mit Blick auf Kostendruck und Klimawandel war damit zu rechnen, dass Business-Flüge längerfristig nicht mehr in dem Umfang stattfinden wie vor Corona. Hat sich das 2023 nach Ihrer Beobachtung so bestätigt?
Wir hatten schon angenommen, dass Geschäftsreisen verzögert zurückkommen werden, und das ist auch der Fall. Im Lauf des Jahres hat das aber wieder angezogen. Wobei sich das Reiseverhalten etwas verändert hat, weg von Tagesreisen, hin zu Aufenthalten mit Übernachtung, teilweise auch übers Wochenende. Die Lufthansa-Flüge nach Frankfurt sind ziemlich gut gebucht, wobei wir hier einen Mix aus Geschäftsund Privatreisen haben.
Für die hiesige Wirtschaft hatten in der Vergangenheit auch die Inlandsverbindungen mit Düsseldorf, Hamburg und Berlin eine hohe Bedeutung. Ist die Nachfrage trotz Kostendruck und Klimawandel immer noch so groß, dass eine Wiederbelebung dieser Verbindungen ein Ziel bleibt?
Eine der meistgestellten Fragen aus der Wirtschaft ist: Wann kommen die Verbindungen nach Düsseldorf, Hamburg oder Berlin wieder? Den Bedarf und die Nachfrage gibt es nach wie vor, da sich ja auch die Verkehrsanbindung unserer Region nicht wesentlich verbessert hat.
Bevor auf Langstrecken klimaneutral geflogen werden kann, wird sich die dafür erforderliche Antriebstechnologie zunächst sicherlich auf Kurzstrecken etablieren müssen. Verbessert der technologische Wandel also langfristig die Chancen für Inlandsverbindungen – und damit auch die Chancen von Regionalflughäfen für einen wirtschaftlichen Betrieb?
Wenn ich das mittel- bis langfristig betrachte, haben Sie völlig recht. Im Kurzstreckenverkehr und in Nischenmärkten wird CO2neutraler Luftverkehr als erstes Einzug halten. Man muss sich dafür nur anschauen, was für Flugzeuge momentan in diesem Sektor entwickelt werden. Das sind Flugzeuge mit maximal 50 Sitzen – eine Größe, die vor allem im Regionalflugverkehr eingesetzt wird. Perspektivisch wird es eine Renaissance des Regionalflugverkehrs und der Regionalflughäfen geben. Klar gibt es heute Kritik aus dem Klimaschutzbereich. Ich bin aber überzeugt davon, dass es wichtig ist, diesen Regionalflugverkehr zu erhalten, weil er im ersten Schritt zur Umsetzung des CO2-neutralen Fliegens eine wichtige Rolle spielen wird.
Für die Urlaubsfliegerei war mit Blick auf das allgegenwärtige Thema Klimawandel ebenfalls mit einem dauerhaften Rückgang der Nachfrage gerechnet worden. Trotzdem waren viele Urlaubsflieger auch 2023 voll. Ist das immer noch ein Nachholeffekt nach den Corona-Einschränkungen?
Den Corona-Nachholeffekt haben wir 2022 erlebt. 2023 ist die Nachfrage weiterhin hoch, aber man sieht schon eine Veränderung dahingehend, dass auf eine zweite oder dritte Flugreise im Jahr eher verzichtet wird. Was wir da spüren, sind aber eher Einflüsse aus dem Ukraine-Krieg: Inflation, Energiekrise und Unsicherheiten, was da an Kosten noch auf einen zukommt.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass sich wieder eine Airline in Friedrichshafen dauerhaft niederlässt, mit mindestens einem am Bodensee stationierten Flugzeug?
Wenn wir nicht daran glauben würden, dass es möglich ist, wären wir hier fehl am Platz. Wir arbeiten in allen Bereichen an diesem Ziel.
Woran scheitert das momentan noch?
Da gibt es verschiedene Faktoren. Ein wesentlicher Punkt ist die Verfügbarkeit von Kapazitäten. Im Zusammenhang mit den neuen Verbindungen Calvi und Lefkas wird Avanti Air 2024 zwar ein Flugzeug nach Friedrichshafen stellen, aber das bedient eben nur zwei Strecken. Das ist noch nicht das, was wir unter einem Stationierungskonzept verstehen – von daher können wir auch noch nicht sagen: Ziel erreicht. Es ist aber ein kleines Beispiel, das zeigt, dass es möglich ist.
Mit Turkish Airlines sind Sie immer wieder in Kontakt wegen einer Wiederherstellung der Drehkreuzverbindung mit Istanbul. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Da spielt wieder die Verfügbarkeit von Flugzeugen eine Rolle, weil Turkish Airlines – wie viele andere Airlines auch – Probleme mit den Triebwerken eines Herstellers hat. Diese müssen alle im kommenden Jahr in eine extra Wartung. Weltweit sind hier hunderte von Flugzeugen betroffen.
Der Tower ist veraltet. Vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie eine Machbarkeitsstudie für eine neue Lösung in Auftrag gegeben. Wie ist der Stand der Dinge?
Tendenziell wird es in Richtung Remote-Tower gehen. Wir haben jetzt eine Schätzung, wie teuer so etwas werden könnte. Auf Basis der Machbarkeitsstudie wollen wir im nächsten Schritt Fördermöglichkeiten prüfen, ein Finanzierungsmodell erarbeiten und dann eine Ausschreibung vorbereiten.
Wie sieht der grobe Kostenrahmen denn aus?
Ich würde uns selbst ein Ei ins Nest legen, wenn ich mich dazu öffentlich vor der Ausschreibung äußern würde. Weil Anbieter dann einen Indikator hätten.
Am Flughafen soll im Verbund mit verschiedenen Projektpartnern ein großer Energiepark entstehen. Soll das für den Bodensee-Airport in erster Linie eine neue Einnahmequelle und ein Projekt zur Senkung der eigenen Energiekosten sein oder ist das auch als erster Schritt zum Aufbau einer Infrastruktur für die Fliegerei mit E-Antrieben zu werten?
Letzteres war die Ursprungsidee und Ausgangslage für die Diskussion, eine Photovoltaikanlage am Flughafen und im Umfeld aufzubauen. Ein zweiter Punkt ist aber auch die Frage, wie der Flughafen auf seiner Agenda, klimaneutral zu werden, selber Strom für den Eigenbedarf produzieren kann. Die Partner sind dann an Bord gekommen, weil es sinnvoll ist, da größer zu denken.