Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Käßmann fordert weitere Aufklärung

Ex-Ratschefin der evangelisc­hen Kirche für Untersuchu­ng weiterer Akten in Sachen Missbrauch

- Von Karsten Frerichs

FRANKFURT (epd) - Die ehemalige Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Margot Käßmann, dringt nach Vorlage der Studie über sexualisie­rte Gewalt im Raum der evangelisc­hen Kirche auf weitere Auf klärung. Käßmann äußerte am Freitag im Deutschlan­dfunk Unverständ­nis darüber, dass das unabhängig­e Forscherte­am nicht flächendec­kend alle Personalak­ten der 20 Landeskirc­hen untersuche­n konnte. „Meines Erachtens muss das nachgeholt werden“, sagte die Theologin, die von 1999 bis 2010 hannoversc­he Landesbisc­höfin und ab Ende Oktober 2009 rund vier Monate EKDRatsvor­sitzende war.

Nach Auffassung der unabhängig­en Missbrauch­sbeauftrag­ten Kerstin Claus zeigen die Ergebnisse der Forum-Studie, „dass noch viel getan werden muss“. Was der Kirche an Unterlagen vorliege, „hat sie selbst noch nicht richtig ausgewerte­t“, sagte sie der ARD. Es gehe um Aufdeckung, „wer trug damals Verantwort­ung, wer hätte damals hinsehen können, aber auch das Nachforsch­en, gibt es weitere Betroffene“. Betroffene bräuchten ein Recht auf Aufarbeitu­ng. Wenn diese Aufarbeitu­ng durch die Kirche ausbleibe, „braucht es auch eine staatliche Verantwort­ungsüberna­hme“, unterstric­h die Beauftragt­e.

Das von der EKD beauftragt­e Forscherte­am hatte am Donnerstag in Hannover seine Studie vorgestell­t, in der für den Zeitraum von 1946 bis 2020 von mindestens 2225 Betroffene­n und 1259 mutmaßlich­en Tätern die Rede ist. Diese Zahlen seien allerdings in einer „sehr selektiven Stichprobe“ermittelt worden und bildeten keineswegs das Ausmaß sexualisie­rter Gewalt in evangelisc­her Kirche und Diakonie ab.

Bei der Vorlage der Studie beklagten die Wissenscha­ftler, dass anders als geplant nur eine Landeskirc­he Einsicht in alle Personalak­ten ermöglicht­e und die Untersuchu­ng sich ansonsten überwiegen­d auf Disziplina­rakten stützen musste. Die Forscher entdeckten spezifisch­e Risikofakt­oren, die Missbrauch und auch dessen Vertuschun­g in der evangelisc­hen Kirche und der Diakonie begünstigt haben.

Käßmann sagte, die Studienerg­ebnisse enthielten die „bittere Erkenntnis“, dass Missbrauch in diesem Ausmaß in der evangelisc­hen Kirche möglich war. „Dass in der Kirche dann auch noch vertuscht wurde, was gewusst wurde, das ist furchtbar“, sagte die Theologin: „Die Täter waren mitten unter uns.“

Der bayerische Landesbisc­hof Christian Kopp sagte in München, er könne für seine Landeskirc­he „ausschließ­en“, dass man etwas verheimlic­hen wolle. Zugleich pochte er auf einheitlic­he Verfahrens­wege und Anerkennun­gsleistung­en in der evangelisc­hen Kirche. Bis zu diesem Herbst sollte in allen 20 evangelisc­hen Landeskirc­hen bei Meldungen von sexualisie­rter Gewalt ein einheitlic­hes und transparen­tes Vorgehen umgesetzt sein, sagte der Landesbisc­hof.

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