Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Windräder, Wasserstoff und Konsum
Welche Themen bei der Diskussion um Windparks im Altdorfer Wald eine Rolle spielen
BAIENFURT - „Warum Windräder in Oberschwaben?“Das war das Thema eines Informations- und Diskussionsabends in der Gemeindehalle Baienfurt. Veranstalter war der kommunale Energiedialog Altdorfer Wald. Dieses Diskussionsgremium besteht aus Bürgermeistern, Gemeinderäten, Bürgerinitiativen und zufällig ausgewählten Bürgern aus den sieben betroffenen Kommunen, die an den Altdorfer Wald angrenzen. Der Saal war voll, es wurde ruhig und sachlich diskutiert. Die Veranstaltung wurde zudem über einen Live-Stream auf Youtube übertragen. Die wichtigsten Aussagen der Referenten:
Erster Redner war Roland Roth, Meteorologe und Leiter der Wetterwarte Süd. Sein Thema lautete: „Wie beeinflusst uns der Klimawandel?“. Die Antwort von Roland Roth ist: Er beeinflusst uns sehr stark. So habe sich in den vergangenen 40 Jahren die Durchschnittstemperatur in der Region um mehr als zwei Grad erhöht. Zwar habe es auch früher schon Temperatur- und Klimaschwankungen gegeben, diese seien aber deutlich weniger gravierend gewesen. So habe der Temperaturanstieg, der in den jüngsten 40 Jahren passiert sei, bei er Erderwärmung nach der letzten Eiszeit rund 4000 Jahre gedauert.
Um die Auswirkungen des Klimawandels zu kompensieren, sei der Schutz der Wälder zentral, da die Wälder eine kühlende Funktion haben, für Frischluftzufuhr sorgen, Wasser speichern und CO2 binden. Roland Roth ist deshalb gegen den Bau von Windrädern im Altdorfer Wald und fordert stattdessen mehr dezentrale Energiegewinnung. Er selbst habe zum Beispiel ein kleines Windrad auf dem Hausdach. Auch Balkonkraftwerke, also kleine Photovoltaikanlagen, seien eine Möglichkeit, wie alle Bürger zur Energiewende betragen könnten.
Für ihn steht außerdem fest, dass die wichtigste Maßnahme lautet, Energie zu sparen und den CO2-Ausstoß zu verringern. Und dabei seien alle gefordert. Er zum Beispiel fahre sehr viel mit dem Fahrrad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln, so Roth.
Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes ging auf die Rolle von Windrädern bei der Energiewende ein. Er ist ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung“des Bundestags.
Die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas sei zu 95 Prozent Ursache für den CO2-Ausstoß. Deshalb sei es unverzichtbar, auf Erneuerbare Energien umzustellen, sagte Uwe Leprich. Erneuerbare Energien könnten aber nicht alleine die Versorgung sicherstellen.
Man brauche auch Energiequellen, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint. Diese Lücken müsse man schließen, so Leprich. Seiner Meinung nach sei das im Moment am sinnvollsten mit Gaskraftwerken möglich. Auf die Frage aus dem Publikum, mit welchen Gas diese betrieben werden sollen, sagte Leprich, dass es hier derzeit aufgrund der Russland-Sanktionen leider kaum Alternativen zu LNG, also verflüssigtes Erdgas, gebe, das Deutschland hauptsächlich aus den USA bezieht und das nicht klimaneutral sei.
Rechne man die benötigten Gaskraftwerke aber gegen mit den derzeit verbrauchten fossilen Brennstoffen, verbessere sich die Klimabilanz trotzdem deutlich.
Er werde oft gefragt, ob es nicht auch ohne Windkraftanlagen gehe, sagte Leprich. Seine Antwort: „Theoretisch könnte die Solarenergie den Bedarf abdecken, aber das dauert noch mindestens 20 Jahre.“Unter anderem reiche hierfür die Speicherkapazität noch nicht aus. Auch nach grünem Wasserstoff als Alternative werde er immer wieder gefragt. „Aber das ist noch sehr weit weg“, so Leprich. Diese Technik sei noch nicht genug ausgereift. Und sie brauche zudem „sehr, sehr viel Strom“.
Wichtig sei aus seiner Sicht, dass beim Bau und Betrieb von Windrädern „alle technischen, finanziellen und organisatorischen Mittel ausgeschöpft werden, um den Einfluss auf Natur und Mensch zu minimieren“, so Leprich.
„Wie nachhaltig sind Windräder im Altdorfer Wald?“Mit dieser Frage war der Beitrag von Wolfgang Ertel überschrieben. Er ist Physiker, arbeitet als Mathematikund Informatik-Professor an der Hochschule RavensburgWeingarten und ist Mitglied der „Scientists for Future“.
Ertel wandte sich zunächst mit einer kurzen Umfrage ans Publikum. „Wie viele Windräder sollten Ihrer Meinung nach im Altdorfer Wald gebaut werden?“, wollte er wissen. Die Menschen im Saal konnten sich entscheiden zwischen 0, 20 und 39. Die meisten hoben ihre Hand bei 0, aber auch die Zahlen 20 und 39 fanden Anhänger. „Das ist eine richtig schwierige Frage“, sagte Wolfgangs Ertel und beleuchtete dann verschiedene Aspekte des Themas.
„Warum müssen die Windräder ausgerechnet in den Wald?“Diese Frage wird immer wieder gestellt – auch bei der Veranstaltung am Donnerstagabend tauchte sie mehrmals auf. Wolfgang Ertel zeichnete nochmal kurz den Suchprozess nach, der schließlich in den Flächen mündete, die aktuell im Regionalplan als mögliche Standorte für Windkraft ausgewiesen sind. „Im Kreis Ravensburg ist der Altdorfer Wald die einzige größere Fläche, auf der man überhaupt Windräder bauen kann“, sagte er. Andere Standorte seien wegen zu wenig Wind oder wegen zu wenig Abstand zu Besiedlung oder Infrastruktur ungeeignet.
Zur Frage der Ökobilanz von Windrädern, stellte Ertel seine Berechnungen zum Thema vor. Das Unternehmen Vestas, das auch die Anlagen für den Altdorfer Wald bauen soll, gebe an, dass ein Windrad innerhalb von knapp sieben Monaten den CO2Verbrauch wieder einspart, der bei seiner Herstellung angefallen ist. Er habe das grob nachgerechnet und komme zum Ergebnis, dass diese Angabe plausibel sei. Ertel fügte an, dass der CO2-Abdruck bei Windrädern bei 6 Gramm pro Kilowattstunde liege, bei Kohlekraftwerken liege dieser bei 1000 Gramm pro Kilowattstunde.
Auf erneuerbare Energien umzusteigen sei notwendig, um den Klimawandel zu stoppen, sagte Wolfgang Ertel. Und fügte hinzu, dass das Artensterben laut Wissenschaft ein noch größeres Problem darstelle als der Klimawandel. Und auch im Altdorfer Wald würden viele Tiere leben. Daher wäre es die ideale Lösung, wenn man dort keine Windräder bauen müsste, so Ertel. Dies sei aber nur dann möglich, wenn man generell weniger Energie brauche.
Die „große Lösung“sei deshalb aus seiner Sicht, den Energieverbrauch deutlich zu senken. Bei dieser Lösung müsse aber jeder seinen Beitrag leisten, nämlich durch weniger Konsum, weniger Heizen, weniger Fliegen, weniger Fahren und eine pf lanzliche Ernährung. Er schlug den Menschen im Saal vor: „Rechnen Sie doch mal Ihren CO2-Fußabdruck aus. Wenn er höher ist als zwei Tonnen CO2 pro Jahr, dann brauchen wir die Windräder.“
Auf die Frage aus dem Publikum, wie er zur geplanten Ausweitung des Kiesabbaus im Altdorfer Wald stehe, sagte Wolfgang Ertel, er sei ein großer Gegner des Kiesabbaus. Es gebe Möglichkeiten, auf andere Baustoffe wie zum Beispiel Holz umzusteigen, um weniger Beton und damit weniger Kies zu verbrauchen.
Eine weitere Zuhörerin wollte von Ertel wissen, ob Windräder im Altdorfer Wald die dortigen Trinkwasserquellen schädigen könnten. Hierzu verwies Ertel auf Gutachten von Geologen, aus denen hervorgehe, welche Standorte verträglich seien.