Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In anderen Ländern pflegen Männer mehr

Frauen leisten höchsten Anteil an häuslicher Pflege – Weniger Ungleichhe­it im Ausland

- Von Hannes Koch

BERLIN - Hierzuland­e leisten Frauen im Vergleich zu Männern deutlich mehr häusliche Altenpf lege als in anderen europäisch­en Staaten. Dies hänge mit einem in Deutschlan­d vergleichs­weise schlecht ausgebaute­n Pf legesystem und der geringeren weiblichen Erwerbsbet­eiligung zusammen, heißt es in einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW, Berlin).

Die Forscherin­nen und Forscher haben 17 europäisch­e Länder verglichen. In manchen dieser Staaten ist die Ungleichve­rteilung der privaten Pflegeleis­tungen zwischen den Geschlecht­ern weniger stark ausgeprägt als hier. Dazu gehören etwa Portugal, Schweden, die Schweiz, Italien, Polen und Frankreich. Insgesamt liegt Deutschlan­d im Mittelfeld.

Ein typischer Fall ist dieser: Der alte Vater wird pf legebedürf­tig und kann sich in seiner Wohnung nicht mehr alleine versorgen. Die 50-jährige Tochter reduziert ihre Erwerbsarb­eit und kümmert sich fortan täglich um ihn. Als kleinen finanziell­en Ausgleich erhält sie über die Pf legeversic­herung das Pflegegeld von einigen Hundert Euro monatlich.

Über 80 Prozent der etwa fünf Millionen Pf legebedürf­tigen werden hierzuland­e zu Hause versorgt – häufig informell, das heißt privat, ohne profession­elle Pf legehilfe. Dass Frauen mehr informelle Pflege leisten, ist in allen der untersucht­en Länder so. Allerdings sind die Verhältnis­se zwischen den Geschlecht­ern in einigen Staaten wesentlich ausgeglich­ener als hier.

Beispielsw­eise in Portugal, der Schweiz und Schweden pflegen Frauen nur knapp „doppelt so oft wie Männer“, schreibt das DIW. In Deutschlan­d leisten sie informelle Pf legearbeit dagegen „mehr als doppelt so häufig“, in Griechenla­nd und Kroatien sogar dreimal so viel wie Männer.

In der Ungleichve­rteilung sieht das DIW eine politische Herausford­erung. Schließlic­h dürfte die Zahl der Pf legebedürf­tigen künftig zunehmen, damit auch der Bedarf an Pf legearbeit. Anderersei­ts wollen und sollen Frauen mehr auskömmlic­h bezahlter Erwerbsarb­eit nachgehen. Wie kann beides zusammenpa­ssen?

Die Untersuchu­ng liefert Antworten. Die Ungleichhe­it der Pf legearbeit zwischen den Geschlecht­ern „ist in den Ländern

kleiner, in denen mehr Geld für das formelle Pf legesystem ausgegeben wird“, sagt DIW-Forscher Peter Haan. Wenn also mehr Finanzmitt­el in profession­elle Altenpfleg­e fließen, müssen Frauen weniger zu Hause pf legen. Mitverantw­ortlich ist auch der Arbeitsmar­kt: In Deutschlan­d „gehen Frauen seltener einer Erwerbsarb­eit nach und verdienen weniger, weshalb sie dann öfter als Männer für die Pf lege von Angehörige­n ihre Arbeitszei­t reduzieren oder die Erwerbstät­igkeit ganz aufgeben“, erklärt Forscherin Mia Teschner.

Der politische Rat des Instituts lautet demzufolge, mehr

Geld in stationäre Pf legeeinric­htungen und mobile, profession­elle Dienste zu investiere­n und die Pflegevers­icherung auszubauen. Außerdem müsse die Politik die öffentlich­e Kinderbetr­euung verbessern, um Frauen die Erwerbstät­igkeit zu erleichter­n. Anderersei­ts sollten Männer auch mehr informelle Pflegearbe­it übernehmen.

Ökonomisch würde das bedeuten, dass die Kosten des formellen Pflegesyst­ems stiegen, was eine stärkere Finanzieru­ng durch Sozialbeit­räge oder Steuern erforderte. Anderersei­ts könnten aber auch die Arbeitsein­kommen von Frauen zunehmen, und ihre höhere

Erwerbsbet­eiligung würde dem Fachkräfte­mangel entgegenwi­rken. Gleichzeit­ig wäre jedoch damit zu rechnen, dass der Arbeitskrä­ftebedarf in der profession­ellen Pflege ebenfalls wächst, was die Knappheit an Arbeitskrä­ften wiederum verschärft. Darauf bietet die Studie keine Antwort.

Die Ungleichve­rteilung von Pf legearbeit zwischen Frauen und Männern bezeichnet das Institut als „Gender Care Gap“– ähnlich dem Begriff „Gender Pay Gap“, der die schlechter­e Bezahlung von Frauen für die gleiche Arbeit im Vergleich zu Männern bezeichnet.

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Die Pflege wird zu Hause vor allem von Frauen geschulter­t.

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