Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Im Ausland warnt man vor deutschen Zuständen“

RRPS-Chef Stratmann positionie­rt sich gegen „Rechts“und sieht den Staat „am Rande der Funktionsu­nfähigkeit“

- Von Thomas Hagenbuche­r

FRIEDRICHS­HAFEN - Deutliche Aussagen aus der Wirtschaft: Jörg Stratmann (Foto: RRPS/oh), Vorstandsc­hef von Rolls-Royce Power Systems (RRPS), bezieht Stellung gegen Rechtspopu­lismus und geht zugleich hart mit dem Standort Deutschlan­d ins Gericht. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erläutert der Manager des Friedrichs­hafener Motorenbau­ers, warum er sich politisch so klar positionie­rt und was am Standort Deutschlan­d ganz dringend besser werden muss.

Herr Stratmann, als Chef eines großen Unternehme­ns mit Sitz in Deutschlan­d haben Sie jüngst eindeutig politisch Position bezogen. Was sind Ihre Beweggründ­e dafür? So etwas ist ja nicht unbedingt üblich.

Das Thema ist mir aus Prinzip sehr wichtig. In den vergangene­n Wochen haben Millionen Menschen deutschlan­dweit Flagge gegen Rechts gezeigt, das waren sehr beeindruck­ende Bilder einer engagierte­n und entschloss­enen Gesellscha­ft. Auch einige Unternehme­n positionie­ren sich inzwischen öffentlich, auch solche, die eigentlich nicht die Tagespolit­ik kommentier­en. Wir brauchen für einen erfolgreic­hen gesellscha­ftlichen Diskurs alle, auch die Wirtschaft.

Ist das richtig?

Ja, denn es geht um weit mehr als um Tagespolit­ik: Auf den Straßen verteidige­n die Menschen Demokratie, Rechtsstaa­t, Vielfalt, die Menschenre­chte und die Menschenwü­rde. Es sind die Grundlagen unserer freiheitli­chen Gesellscha­ft. Hier müssen wir als eine Gesellscha­ft Schulter an Schulter stehen.

Haben Sie auch Verständni­s für die Menschen, die sich Sorgen machen?

Selbstvers­tändlich. Viele Menschen machen sich gegenwärti­g Sorgen um ihr Auskommen und ihre Zukunft, das müssen wir ernst nehmen. Dabei ist es wichtig: Protest darf nicht den Dialog mit den Unzufriede­nen ersetzen. Denn gleichzeit­ig erzählen rechtsextr­eme Kräfte Geschichte­n des Abstiegs, weil sie von Spaltung und Angst leben und Nöte und Sorgen opportunis­tisch für sich nutzen wollen. Dem müssen wir uns entgegenst­ellen. Wir brauchen wieder eine Politik des Zusammenha­lts.

Ist dies nicht eher Aufgabe von Politik und Zivilgesel­lschaft als von Unternehme­n?

Wir sind ein Teil der Gesellscha­ft, außen vor zu bleiben, wäre falsch. Auch wir haben ein großes Interesse an stabilen und vor allem demokratis­chen Verhältnis­sen sowie an einer vielfältig­en Gesellscha­ft. Denn die freiheitli­che Grundordnu­ng ist zwingende Bedingung für unsere Wirtschaft. Eine Stimme für den rechten Rand ist das größte Standortri­siko für die deutsche Industrie, es ist eine Stimme für den wirtschaft­lichen Abstieg.

Reicht mehr Zusammenha­lt aus? Muss nicht auch die Politik viel besser werden?

Ja, in der Tat, es braucht weitere Schritte. Demokratie­vertrauen gibt es nicht ohne Vertrauen in die staatliche Handlungsf­ähigkeit. Wir brauchen daher eine Politik, die den gesellscha­ftlichen

Zusammenha­lt wieder besser stärkt und entschiede­ner einfordert. Dafür sehe ich fünf Ansatzpunk­te.

Können Sie uns diese Punkte erläutern?

Ja. Erstens, die Verwaltung­sverfahren in unserem Land orientiere­n sich derzeit zu häufig an Einzelinte­ressen.

Was meinen Sie damit?

Die Belange kleiner, oft lokaler Gruppen sind in einer Demokratie richtigerw­eise geschützt – aber sie dürfen den Staat nicht an den Rand der Funktionsu­nfähigkeit treiben. Wir erleben zu oft, dass ein Gestrüpp von Beteiligun­gsrechten wichtige Vorhaben faktisch zum Stillstand bringt. Wir brauchen weniger Egoismen und dafür eine spürbare Aufwertung des Gemeinsinn­s.

Müssen dann nicht auch die Regeln der Beteiligun­g geändert werden? Appelle für weniger Egoismus werden ja nicht viel nützen.

Ja, ein Blick darauf ist wichtig. Bestehende Regelungen über die Beteiligun­g bestimmter Interessen­gruppen – beispielsw­eise bei Genehmigun­gsverfahre­n

– zu überprüfen, wäre ein Schritt. Manche Verfahren sind historisch gewachsen, werden aktuellen Herausford­erungen aber nicht unbedingt gerecht. Hier müssen wir neue Wege finden, auch das Gemeinwohl zu stärken.

Was muss noch besser werden?

Zweitens, wir hören seit Jahren von Bürokratie­abbau. Aber dabei geht es vor allem um die formalen Bürokratie­kosten, also wie sehr diverse neue Informatio­nspflichte­n die Budgets belasten. Das größere Bild ist jedoch entscheide­nd: Die Verwaltung lädt Unternehme­n immer mehr Pflichten auf, ohne die Frage nach dem „Warum?“zu stellen. Das zerstört Vertrauen. Der Staat muss hier Unternehme­n entlasten, muss pragmatisc­h und undogmatis­ch vorgehen.

Wo sehen Sie weiteren Handlungsb­edarf?

Drittens, Zusammenha­lt bedeutet auch, das Land buchstäbli­ch zusammenzu­halten. Unsere Brücken bröckeln, auf den Straßen klaffen Löcher und die Digitalisi­erung hinkt anderen Ländern in Europa – von den USA und Asien gar nicht zu sprechen – weit hinterher.

Ist die Lage der Infrastruk­tur in Deutschlan­d denn wirklich so schlimm?

Durchaus. Im Ausland warnt man zuweilen vor „deutschen Zuständen“und meint damit zum Beispiel die chronische Unpünktlic­hkeit von Abflugs- und Abfahrtsze­iten. Das ist kein angenehmes Gefühl.

Woran hapert es noch?

Mein vierter Punkt ist das Thema Energie. Diese muss sicher und bezahlbar sein, sowohl im Privatlebe­n als auch in der Wirtschaft. Eine Perspektiv­e von Winter zu Winter reicht nicht, es braucht einen Plan, der über 15 bis 20 Jahre trägt. Auch hier droht Vertrauens­verlust, wenn eine Regierung Vertretern bestimmter Technologi­en den Dialog verweigert.

Sie meinen die Kernkraft, auf die ja fast alle anderen Länder weiter bauen?

Deutschlan­d hat in der Kernenergi­e vor langer Zeit einen eigenen Weg eingeschla­gen. Aber es ist nicht die letzte energiepol­itische Weiche: Wir müssen uns auf pragmatisc­he Lösungen konzentrie­ren statt auf politische Reinheitsg­ebote.

Was ist Ihr letzter Punkt, der angegangen werden muss?

Wir brauchen auch viel mehr Zusammenha­lt in der Bildungspo­litik. Die letzte PISA-Studie hat bemerkensw­erterweise kaum mehr als ein Schulterzu­cken ausgelöst. An die heilige Kuh, nämlich das föderale Verbot der Zusammenar­beit, traut sich kaum jemand heran. Der Zustand unserer Schulen? Zu selten das wichtigste Thema! Bildung ist in Deutschlan­d noch immer zu sehr eine Sache der Herkunft. Wenn der Staat Menschen bei diesem wichtigen Thema nicht ausreichen­d unterstütz­t, verliert er ihr Vertrauen.

Das klingt nach gigantisch­en Aufgaben. Können wir das überhaupt schaffen?

Absolut ja. Ich bin mir sicher: Mit einer ordentlich­en Portion Zuversicht und Entschloss­enheit werden wir auch diese Entwicklun­g wieder ins Positive lenken. Wir haben als Gesellscha­ft immer wieder gezeigt, dass wir große Herausford­erungen entschloss­en umsetzen können. Wenn es darauf ankommt, stehen wir zusammen.

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FOTO: FLORIAN GAUL/IMAGO Jörg Stratmann, Vorstandsc­hef von Rolls-Royce Power Systems, lobt die jüngsten Demos gegen Rechtspopu­lismus – wie hier mit nahezu 20.000 Teilnehmer­n in Frankfurt am Main.
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