Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Im Ausland warnt man vor deutschen Zuständen“
RRPS-Chef Stratmann positioniert sich gegen „Rechts“und sieht den Staat „am Rande der Funktionsunfähigkeit“
FRIEDRICHSHAFEN - Deutliche Aussagen aus der Wirtschaft: Jörg Stratmann (Foto: RRPS/oh), Vorstandschef von Rolls-Royce Power Systems (RRPS), bezieht Stellung gegen Rechtspopulismus und geht zugleich hart mit dem Standort Deutschland ins Gericht. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“erläutert der Manager des Friedrichshafener Motorenbauers, warum er sich politisch so klar positioniert und was am Standort Deutschland ganz dringend besser werden muss.
Herr Stratmann, als Chef eines großen Unternehmens mit Sitz in Deutschland haben Sie jüngst eindeutig politisch Position bezogen. Was sind Ihre Beweggründe dafür? So etwas ist ja nicht unbedingt üblich.
Das Thema ist mir aus Prinzip sehr wichtig. In den vergangenen Wochen haben Millionen Menschen deutschlandweit Flagge gegen Rechts gezeigt, das waren sehr beeindruckende Bilder einer engagierten und entschlossenen Gesellschaft. Auch einige Unternehmen positionieren sich inzwischen öffentlich, auch solche, die eigentlich nicht die Tagespolitik kommentieren. Wir brauchen für einen erfolgreichen gesellschaftlichen Diskurs alle, auch die Wirtschaft.
Ist das richtig?
Ja, denn es geht um weit mehr als um Tagespolitik: Auf den Straßen verteidigen die Menschen Demokratie, Rechtsstaat, Vielfalt, die Menschenrechte und die Menschenwürde. Es sind die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft. Hier müssen wir als eine Gesellschaft Schulter an Schulter stehen.
Haben Sie auch Verständnis für die Menschen, die sich Sorgen machen?
Selbstverständlich. Viele Menschen machen sich gegenwärtig Sorgen um ihr Auskommen und ihre Zukunft, das müssen wir ernst nehmen. Dabei ist es wichtig: Protest darf nicht den Dialog mit den Unzufriedenen ersetzen. Denn gleichzeitig erzählen rechtsextreme Kräfte Geschichten des Abstiegs, weil sie von Spaltung und Angst leben und Nöte und Sorgen opportunistisch für sich nutzen wollen. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Wir brauchen wieder eine Politik des Zusammenhalts.
Ist dies nicht eher Aufgabe von Politik und Zivilgesellschaft als von Unternehmen?
Wir sind ein Teil der Gesellschaft, außen vor zu bleiben, wäre falsch. Auch wir haben ein großes Interesse an stabilen und vor allem demokratischen Verhältnissen sowie an einer vielfältigen Gesellschaft. Denn die freiheitliche Grundordnung ist zwingende Bedingung für unsere Wirtschaft. Eine Stimme für den rechten Rand ist das größte Standortrisiko für die deutsche Industrie, es ist eine Stimme für den wirtschaftlichen Abstieg.
Reicht mehr Zusammenhalt aus? Muss nicht auch die Politik viel besser werden?
Ja, in der Tat, es braucht weitere Schritte. Demokratievertrauen gibt es nicht ohne Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit. Wir brauchen daher eine Politik, die den gesellschaftlichen
Zusammenhalt wieder besser stärkt und entschiedener einfordert. Dafür sehe ich fünf Ansatzpunkte.
Können Sie uns diese Punkte erläutern?
Ja. Erstens, die Verwaltungsverfahren in unserem Land orientieren sich derzeit zu häufig an Einzelinteressen.
Was meinen Sie damit?
Die Belange kleiner, oft lokaler Gruppen sind in einer Demokratie richtigerweise geschützt – aber sie dürfen den Staat nicht an den Rand der Funktionsunfähigkeit treiben. Wir erleben zu oft, dass ein Gestrüpp von Beteiligungsrechten wichtige Vorhaben faktisch zum Stillstand bringt. Wir brauchen weniger Egoismen und dafür eine spürbare Aufwertung des Gemeinsinns.
Müssen dann nicht auch die Regeln der Beteiligung geändert werden? Appelle für weniger Egoismus werden ja nicht viel nützen.
Ja, ein Blick darauf ist wichtig. Bestehende Regelungen über die Beteiligung bestimmter Interessengruppen – beispielsweise bei Genehmigungsverfahren
– zu überprüfen, wäre ein Schritt. Manche Verfahren sind historisch gewachsen, werden aktuellen Herausforderungen aber nicht unbedingt gerecht. Hier müssen wir neue Wege finden, auch das Gemeinwohl zu stärken.
Was muss noch besser werden?
Zweitens, wir hören seit Jahren von Bürokratieabbau. Aber dabei geht es vor allem um die formalen Bürokratiekosten, also wie sehr diverse neue Informationspflichten die Budgets belasten. Das größere Bild ist jedoch entscheidend: Die Verwaltung lädt Unternehmen immer mehr Pflichten auf, ohne die Frage nach dem „Warum?“zu stellen. Das zerstört Vertrauen. Der Staat muss hier Unternehmen entlasten, muss pragmatisch und undogmatisch vorgehen.
Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?
Drittens, Zusammenhalt bedeutet auch, das Land buchstäblich zusammenzuhalten. Unsere Brücken bröckeln, auf den Straßen klaffen Löcher und die Digitalisierung hinkt anderen Ländern in Europa – von den USA und Asien gar nicht zu sprechen – weit hinterher.
Ist die Lage der Infrastruktur in Deutschland denn wirklich so schlimm?
Durchaus. Im Ausland warnt man zuweilen vor „deutschen Zuständen“und meint damit zum Beispiel die chronische Unpünktlichkeit von Abflugs- und Abfahrtszeiten. Das ist kein angenehmes Gefühl.
Woran hapert es noch?
Mein vierter Punkt ist das Thema Energie. Diese muss sicher und bezahlbar sein, sowohl im Privatleben als auch in der Wirtschaft. Eine Perspektive von Winter zu Winter reicht nicht, es braucht einen Plan, der über 15 bis 20 Jahre trägt. Auch hier droht Vertrauensverlust, wenn eine Regierung Vertretern bestimmter Technologien den Dialog verweigert.
Sie meinen die Kernkraft, auf die ja fast alle anderen Länder weiter bauen?
Deutschland hat in der Kernenergie vor langer Zeit einen eigenen Weg eingeschlagen. Aber es ist nicht die letzte energiepolitische Weiche: Wir müssen uns auf pragmatische Lösungen konzentrieren statt auf politische Reinheitsgebote.
Was ist Ihr letzter Punkt, der angegangen werden muss?
Wir brauchen auch viel mehr Zusammenhalt in der Bildungspolitik. Die letzte PISA-Studie hat bemerkenswerterweise kaum mehr als ein Schulterzucken ausgelöst. An die heilige Kuh, nämlich das föderale Verbot der Zusammenarbeit, traut sich kaum jemand heran. Der Zustand unserer Schulen? Zu selten das wichtigste Thema! Bildung ist in Deutschland noch immer zu sehr eine Sache der Herkunft. Wenn der Staat Menschen bei diesem wichtigen Thema nicht ausreichend unterstützt, verliert er ihr Vertrauen.
Das klingt nach gigantischen Aufgaben. Können wir das überhaupt schaffen?
Absolut ja. Ich bin mir sicher: Mit einer ordentlichen Portion Zuversicht und Entschlossenheit werden wir auch diese Entwicklung wieder ins Positive lenken. Wir haben als Gesellschaft immer wieder gezeigt, dass wir große Herausforderungen entschlossen umsetzen können. Wenn es darauf ankommt, stehen wir zusammen.