Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Mitschnitt für Putins Propaganda
Kreml nutzt Abhörskandal der Bundeswehr und macht Stimmung gegen Deutschland
MOSKAU - Die abgefangenen Gespräche der deutschen Offiziere zeigten, dass die Denazifizierung Deutschlands unvollständig sei, sagte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa gestern laut der Staatsagentur RIA Nowosti. „Wenn dieser Prozess nicht vom deutschen Volk gestoppt wird, kann das zu schrecklichen Folgen für Deutschland selbst führen.“
Ein Wink mit dem Zaunpfahl, schließlich startete Wladimir Putin seine Kriegsspezialoperation gegen die Ukraine mit dem erklärten Ziel, das ukrainische Volk zu „denazifizieren“. Auch andere Moskauer Lautsprecher zürnen und drohen Deutschland wegen des am Freitag vom Staatssender RT veröffentlichten Mitschnitts einer Webex-Konferenz mehrerer Bundeswehroffiziere über den möglichen Einsatz von TaurusMarschflugkörpern durch die ukrainischen Streitkräfte.
„Tut die Bundeswehr das aus eigener Initiative, muss man sich fragen, ob sie noch lenkbar ist?“, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow gestern. „Oder gehört das schon zur staatlichen Politik?“RTChefin Margarita Simonjan stellte zur Debatte, ob es nicht an der Zeit sei, Berlin tatkräftig daran zu erinnern, wie die Sprengung russischer Brücken das letzte Mal für Deutschland endete. „Die Versuche, das Gespräch zwischen den Offizieren als Raketen- und Panzerspiel darzustellen, sind eine vorsätzliche Lüge“, schrieb Ex-Präsident Dmitri Medwedew auf Telegram. „Deutschland bereitet Krieg gegen Russland vor.“Und das russische Außenministerium händigte dem deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff eine Protestnote aus.
Die Luftwaffenoffiziere plaudern in dem offenbar authentischen Audio wirklich über heikle Details, etwa darüber, dass britische und französische Storm Shadowund SCALP-Raketen knapp werden. Und vor allem darüber, dass die ukrainischen Raketentruppen vor Ort von mehreren amerikanischen und britischen Experten unterstützt werden. Was laut Lawrow „noch einmal die Verwicklung des sogenannten Westens in den Ukrainekonflikt unterstreicht“.
Das offizielle Moskau reklamiert allerdings schon Jahre, man habe es in der Ukraine mit der gesamten Nato-Maschinerie zu tun. Und kürzlich veröffentlichte die „Financial Times“russische Geheimpapiere über den möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen gegen China, auch das eine politische Peinlichkeit.
Die russische Aufregung über die deutschen Restnazis aber gründet sich nur auf das flapsige Lob eines der Deutschen an die Ukrainer, die seien gerade in einer Kriegsführung unterwegs, „die mehr Hightech ist als unsere gute alte Luftwaffe“. Die Russen, mit Selbstironie wenig vertraut, münzten die Worte auf Hitlers Luftwaffe. RT übersetzt manches falsch, aus „totalem Schwachsinn“wird „List“, Konjunktive verwandeln sich in Indikative. Ganz unterschlägt man den Satz „Der Termin (bei Verteidigungsminister Boris Pistorius) dauert eine halbe Stunde, wir werden das Ding nicht zum Fliegen bringen können“. Denn es geht keineswegs um die Planung eines BundeswehrTaurus-Einsatzes gegen Russland, sondern um die Vorbereitung des 30-Minuten-Brifings für Pistorius.
Thema: „Wie die ganze Nummer denn laufen könnte“, wenn doch die politische Entscheidung falle, Taurus an die Ukraine zu liefern.
Aber das schert Russlands Propagandisten nicht. Die Deutschen hatten dreist gefachsimpelt, ob man die Krimbrücke, die als Lieblingsbauwerk Wladimir Putins gilt, mit einem, zehn oder 20 Sprengköpfen zerstören könne. Staats-TV-Moderator Dmitri Kiseljow schlug prompt einen Raketenkonter gegen die Kölner Hohenzollern-Rheinbrücke vor. „Denen tut unser Krimbrücke ja auch nicht leid.“