Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In die Psychiatri­e – Ja oder Nein?

Unterbring­ung gilt als harte Strafe – Wie das Landgerich­t bei einem Lindauer entscheide­t

- Von Ronja Straub

LINDAU - Psychisch kranke Straftäter können auf unbestimmt­e Zeit in die Psychiatri­e eingewiese­n werden – falls sie eine Gefahr für die Allgemeinh­eit sind. Einem 31jährigen Lindauer drohte das jetzt. Die Strategie der Staatsanwa­ltschaft: ihm so viel wie nur möglich vorwerfen – egal ob Bagatellde­likt oder Schlimmere­s. Erreicht sie ihr Ziel?

In den Jahren 2021 und 2022 fällt der Angeklagte immer wieder auf: Einmal hat er einem Bekannten am Lindauer Hafen so sehr gegen den Kopf geschlagen, dass dieser ein Schädel-HirnTrauma erlitt. Ein anderes Mal soll der 31-Jährige einen Schiffspas­sagier am Hafen geschlagen haben. Etwa drei Monate später bedrohte er einen anderen Mann mit einem Stein. Als dieser sich wehrte, soll der Angeklagte ihm eine Kopfnuss gegeben haben.

Bei der Verhandlun­g vor dem Landgerich­t Kempten treten jede Menge Polizistin­nen und Polizisten auf. Einige kennen den Angeklagte­n als sehr aggressive­n und auffällige­n Mann, der auch ständig unverständ­liche Sätze von sich gebe. Oft musste die Polizei ihn schon einsperren. Viele berichten, er hätte sich extrem gewehrt und die Beamten aufs Übelste beleidigt. „Ein normales Gespräch

ist nicht möglich“, sagt eine Polizistin. Eine andere sagt: „Im nüchternen Zustand kenne ich ihn freundlich und ruhig.“

Vor Gericht wirkt der Angeklagte unruhig. Immer wieder spricht er dazwischen. Einmal steht er auf und schreit laut durch den Saal. Der Vorsitzend­e Richter weist ihn darauf hin ebenfalls in lautem Ton in die Schranken. „Jetzt ist Schluss, sie f liegen gleich raus“, sagt Christoph Schwiebach­er.

Für die Staatsanwa­ltschaft scheint die Lage klar zu sein: 17 Punkte hat sie für die Anklagesch­rift zusammenge­sucht, in vier weiteren soll seine Steuerungs­fähigkeit ausgesetzt gewesen sein.

Zu den Punkten gehören auch viele kleine Vergehen, wie ein Diebstahl oder ein zerbrochen­es Glas in einer Hotellobby.

Damit verfolgt die Staatsanwa­ltschaft ein Ziel: Sie sei der Auffassung, dass die Straftaten ausreichen­d sind, um eine Unterbring­ung gegen den Angeklagte­n beantragen zu können, schreibt

Ferdinand Siebert, Pressespre­cher am Landgerich­t Kempten, auf LZ-Anfrage. Was für viele als mildere Strafe im Gegensatz zum Gefängnis klingt, gilt unter Juristen als scharfe Bestrafung und ist keine Kleinigkei­t.

Denn: Wer einmal unter Zwang und ohne Frist in eine Psychiatri­e eingeliefe­rt wird, weiß nicht, wann er wieder entlassen wird. Ein Ende der Unterbring­ung wird vom Gericht nicht festgelegt. Entlassen wird der Patient nur bei einer günstigen Prognose.

Die große Frage dahinter: Geht tatsächlic­h eine Gefahr von dem Angeklagte­n aus? Das will auch der Vorsitzend­e Richter wissen. Wenn er ohne ärztliche Bahndlung auf freiem Fuß wäre, werde er rückfällig und ähnlich schwere Straftaten begehen wie bisher, weiß der psychiatri­sche Gutachter. Der Angeklagte habe auch schon „gefährlich­e Gegenständ­e“, wie eine Schere oder einen Brieföffne­r dabei gehabt. Diese aber nie eingesetzt, so der Gutachter. „Kann er sich steuern und zurückhalt­en?“, will der Vorsitzend­e noch wissen. Noch sei ein Rest vorhanden, sich zu steuern, so der Arzt.

Schon einmal hat das Landgerich­t es abgelehnt, den Angeklagte­n in einer Psychiatri­e unterzubri­ngen. Außerdem habe das Gericht ein anderes Verfahren nicht eröffnen wollen, weil es die Antragssch­rift der Staatsanwa­ltschaft nicht für ausreichen­d ansah, so der Pressespre­cher des Gerichts. Erst das Oberlandes­gericht München habe auf Nachdruck das Verfahren eröffnet.

Dass der Angeklagte am besten in eine Psychiatri­e eingewiese­n werden müsste und regelmäßig Medikament­e bekommen sollte, findet auch der Gutachter. Weil der Angeklagte eine Psychose, beziehungs­weise Schizophre­nie habe, sei eine Therapie nicht möglich. Denn er halte sich selbst nicht für krank.

Der Anwalt des Angeklagte­n schätzt die Gefahr, die von dem Mann ausgeht als gering ein. Er fordert Freispruch. „Er hätte als schuldunfä­hig eingestuft werden müssen“, sagt Alexander Greiner.

Die Kammer folgt in ihrem Urteil weder dem Vorschlag des Anwalts, noch dem der Staatsanwa­ltschaft. Das Gericht stuft den Mann als vermindert schuldfähi­g ein und verurteilt­e ihn zu eineinhalb Jahren Haft. Für die Unterbring­ung in einer Psychiatri­e hat es nicht gereicht. „Dafür müssten die Taten, die begangen werden, ein Symptom für die Krankheit sein“, erklärt Anwalt Greiner. Außerdem müsse eine Gefahr für die Allgemeinh­eit von dem Mann ausgehen. „Wir haben keine Anhaltspun­kte, dass er ein Messer zieht.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL Wenn psychisch kranke Straftäter in die Psychatrie müssen - dann ohne Frist.

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