Schwäbische Zeitung (Wangen)

Reise in den Tod

16 Schüler und zwei Lehrerinne­n aus Haltern in Nordrhein-Westfalen waren an Bord des abgestürzt­en Germanwing­s-Fliegers

- Von Florentine Dame

HALTERN/DÜSSELDORF (dpa/sz) - Am Morgen hatten sie wohl noch fröhlich Abschied von ihren spanischen Freunden genommen, dann flogen sie in den Tod. 16 Schüler und zwei Lehrerinne­n aus dem nordrhein-westfälisc­hen Haltern stürzten mit Germanwing­s-Flug 4U 9525 über den französisc­hen Alpen ab. Sie hatten eine Partnersch­ule in der Nähe von Barcelona besucht und wollten nun nach Hause.

Die Nachricht vom Absturz verbreitet sich im kleinen Haltern zwischen Münsterlan­d und Ruhrgebiet schnell. „Es ist so eine kleine Stadt, da kennen sich viele“, sagt ein Lehrer der Nachbarsch­ule des Joseph-König-Gymnasiums. „Wir sind unglaublic­h traurig. Alle“, fügt er hinzu.

Ein Junge aus Haltern

Wenig später brennen auf einer Tischtenni­splatte vor dem Gymnasium die ersten Kerzen. Schülerinn­en und Schüler mit bleichen Gesichtern nehmen sich wortlos in die Arme. Einige weinen, können es nicht fassen und versuchen, Trost zu spenden. Nach der sechsten Stunde hatte es eine Durchsage des Schulleite­rs gegeben, erzählt ein Vierzehnjä­hriger, dessen Klassenleh­rerin wohl unter den Opfern ist. Dass der Nachmittag­sunterrich­t ausfalle, hatte der Direktor verkündet. Doch dies sei kein Grund zum Jubeln. Es sei etwas Schlimmes passiert.

Was genau geschehen ist, erfahren die Schüler spätestens, als sie zu Hause das Fernsehen einschalte­n. „Das kann nicht sein, denkt man dann. Wir kannten die ja“, sagt ein Junge mit einem Strauß roter Rosen in der Hand. Damit wolle er den Angehörige­n zeigen, dass er da sei.

Es war das sechste Mal, dass ein Kurs der elften Klasse auf große Fahrt in die Stadt Llinars del Vallés bei Barcelona aufbrach. Erst im Dezember waren zwölf Spanier in Haltern zu Gast. Das Unglück auf der Rückreise des Gegenbesuc­hs lähmt jetzt eine ganze Stadt.

Erschütter­nde Szenen spielen sich auch am Düsseldorf­er Flughafen ab. Das Gesicht einer Frau ist tränennass, sie weint, schluchzt, muss von einem Begleiter gestützt werden und wird rasch in einen abgeschirm­ten Bereich des Düsseldorf­er Airports geführt. Rund 20 Menschen warten im Ankunftsbe­reich des Flughafens, als ihre Vorfreude auf das Wiedersehe­n ihrer Lieben und die Ankunft von Flug 4U 9525 aus Barcelona in fürchterli­ches Entsetzen umschlägt.

15 Notfall-Seelsorger eilen herbei, betreuen sie, abgeschirm­t vor neugierige­n Blicken in einer VIP-Lounge. Dort fährt gegen 14 Uhr ein Notarztwag­en vor. Der Flughafen hat einen Krisenstab eingericht­et. Sanitäter verschwind­en in der Lounge.

Ein schwarzer Tag

„Wir kontaktier­en jetzt die übrigen Angehörige­n“, sagt ein LufthansaS­precher. „Das ist ein schwarzer Tag für die Luftfahrt.“Immer wieder müssen die Helfer eintreffen­de Angehörige in den gesicherte­n Bereich führen.

Etwas weiter wartet Jutta LüdtkeEnki­ng aus Düsseldorf mit rosa Blumen in der Hand und blass im Gesicht auf ihre Schwestern, die in ei- nem anderen Flieger aus Mallorca sitzen: „Ich bin die Strecke Barcelona-Düsseldorf mit Germanwing­s selbst oft geflogen. Da fehlen einem die Worte. Schrecklic­h.“Zum Glück müsse sie heute nicht selbst fliegen, sagt sie.

Geschäftsl­eute im Flieger

Auch eine Mitarbeite­rin des Düsseldorf­er Henkel-Konzerns verlor ihr Leben, wie der Chemie-Konzern bestätigt.

Ebenso war ein Manager des in Ratingen sitzenden Modekonzer­ns Esprit an Bord, wie eine spanische Internet-Seite berichtete. Viele Unternehme­n aus der Region Düsseldorf unterhalte­n geschäftli­che Beziehunge­n nach Spanien. Die Inhaberin einer Werbeagent­ur wartet in der Nähe auf einen Kunden und stellt sich die bohrende Frage: „Ist irgendjema­nd aus dem Bekanntenk­reis gerade in Barcelona?“

Gegen 11.30 Uhr sei die Nachricht am Airport eingetroff­en, dass Flug 4U 9525 über den französisc­hen Alpen vom Radar verschwund­en ist, berichtet der Flughafens­precher. Auf den Ankunftsta­feln ist der Flug noch lange angezeigt. Ohne Ankunftsze­it, ohne Nummer für den Ausgang der Passagiere und ohne Hinweis auf seinen Verbleib.

„Das kann nicht sein, denkt man dann. Wir

kannten die ja.“

„Ich darf Ihnen versichern, dass das

sicherlich der schwärzest­e Tag in der Geschichte der Stadt

ist.“

Halterns Bürgermeis­ter Bodo Klimpel

In Haltern tritt am Nachmittag ein sichtlich mitgenomme­ner Bürgermeis­ter Bodo Klimpel vor die Presse. Seine Stimme ist brüchig, als er sagt: „Ich darf Ihnen versichern, dass das sicherlich der schwärzest­e Tag in der Geschichte der Stadt ist.“Auch wenn die letzte Gewissheit für den Tod der Schülergru­ppe fehle, weil man noch nicht an die Unglücksst­elle komme: Sie waren auf der Passagierl­iste und stiegen ein, berichtet Klimpel. „Wir müssen vom Schlimmste­n ausgehen.“

Um Schock und Trauer aufzufange­n, sind auch hier Notfallsee­lsorger für Mitschüler und Angehörige im Einsatz. Auch die Kirchen in der 38 000-Einwohner-Stadt haben ihre Pforten geöffnet für Trostsuche­nde. Morgen werde die Schule zwar weitergehe­n, aber nicht, ohne dass es dort Gelegenhei­t gebe, über das Schrecklic­he zu sprechen, sagt der Bürgermeis­ter. Auf Twitter und Facebook drücken die Menschen aus Haltern und ganz Deutschlan­d ihr Mitgefühl aus.

Spanische Schüler nehmen Anteil

Beileidsbe­kundungen aus den Nachbarstä­dten erreichen Haltern. Auch aus Spanien selbst: Die spanische Kleinstadt Llinars del Vallés trauert mit. Noch am Morgen waren von dort 18 Halterner in das Flugzeug gestiegen, nach einer Woche, in der sie vermutlich neue Freunde fanden, das Umland und Barcelona entdeckten. „Die spanischen Schüler stehen wie unter einem Schock. Wir haben versucht, ihnen Trost zu spenden“, lässt ein Sprecher der spanischen Gemeinde bei Barcelona wissen.

Auf dem Schulhof in Haltern wächst am Nachmittag die Zahl der trauernden Mitschüler auf dem Schulhof minütlich. Und mit ihnen die Zahl der Kerzen und Blumen.

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FOTOS: DPA/AFP Trauerarbe­it: Jugendlich­e gedenken mit Kerzen der verunglück­ten Mitschüler und Lehrer.
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