Schwäbische Zeitung (Wangen)

Terrorexpo­rt als neue IS-Strategie

- Von Marc Röhlig, Kairo

er Islamische Staat (IS) ist überall. Die Terrormili­z will gleich mehrere verheerend­e Anschläge der vergangene­n Woche verantwort­et haben. 21 Tote bei einer Schießerei im tunesische­n Nationalmu­seum, 45 Tote bei zwei Bombenansc­hlägen in Nordsyrien und mindestens 137 Tote nach Selbstmord­attentaten auf Moscheen im Jemen – das ist die Bilanz der „Ritter des Kalifats“, wie der IS die Angreifer nennt.

Die Miliz kämpft eigentlich im Irak und in Syrien. Im vergangene­n Sommer hatte sie in Teilen der Länder ein „Kalifat“ausgerufen, ihr Anführer Abu Bakr al-Bagdadi lässt sich seither als „Kalif“anreden.

Doch das Kalifat bröckelt. Luftschläg­e der von den USA angeführte­n Allianz machen den Dschihadis­ten ein freies Bewegen in ihren Gebieten fast unmöglich. Koordinier­te Angriffe der irakischen Armee und kurdischer Kämpfer schlagen den IS im Irak zurück. Beobachter berichten von Fahnenflüc­htigen und schwindend­er Kampfesmor­al.

Seit Anfang des Jahres hätten sich den Extremiste­n rund 120 Anhänger angeschlos­sen, erklärt die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte. 2014 hatte die Terrormili­z noch rund 1200 neue Kämpfer pro Monat gezählt. Um die Verluste auszugleic­hen, soll die Terrormili­z nach Angaben von Beobachter­n nun sogar Kindersold­aten rekrutiere­n.

Der IS scheint daher eine neue Strategie zu fahren. Mit Angriffen außerhalb des „Kalifats“wollen die Dschihadis­ten ihren Terror exportiere­n. Tatsächlic­h verrät der IS so seinen Gründungsm­ythos.

Utopie für Gotteskrie­ger

Al-Bagdadi schuf die Miliz aus einem irakischen Ableger des Terrornetz­es al-Kaida. Doch statt mit Anschlägen wie denen auf das World Trade Center in New York Schrecken zu verbreiten, träumte al-Bagdadi von einem Terrorkamp­f, der einen tatsächlic­hen Staat hervorbrin­gt: eine muslimisch­e Utopie für Gotteskrie­ger aus aller Welt. Dafür waren al-Bagdadi auch brutalste Mittel recht – auch Enthauptun­gen und Verbrennun­gen.

Mit der Ausrufung seines Kalifats begeistert­e al-Bagdadi Kämpfer, wie es al-Kaida lange nicht vermochte. Die Dschihadis­ten seien dort erfolgreic­h, wo Staaten der Zerfall droht, sagt der IS-Experte Behnam Said. Doch je mehr Kämpfer die Miliz begeistert, desto skrupellos­er muss sie ihre Eroberunge­n behaupten. „Erhalten und Erweitern“ist die Doktrin alBagdadis für sein Staatsgebi­et.

Der IS stellte zunächst mehr und mehr Horrorvide­os ins Internet. Nun gründet er über sein Kalifat hinaus neue „Provinzen“– und wird so zu dem losen Netzwerk, wie al-Bagdadi es bei al-Kaida verachtete. In Ägypten und Libyen wurden bereits Ableger des IS ausgerufen, die Angriffe in Tunesien und im Jemen sollen die Illusion des Staates nun noch weiter ausbauen.

Forscher Aaron Zelin vom Washington Institute sieht in dem neuen Netzwerk eine größere Gefahr, als einst die al-Kaida. Das „Erhalten und Erweitern“des IS sei eine gefühlte Wirklichke­it. Aber die reiche, um Gotteskrie­ger in ihrem Fanatismus zu bestärken. (dpa)

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