Schreiben mit Licht
Das Stadthaus Ulm zeigt beeindruckende Fotografien aus dem Lebenswerk von Abbas
ULM - Seine Beziehung zu Gott ist „sehr professionell“. Der Glaube an sich interessiert ihn nicht, dafür umso mehr das, was Menschen im Namen Gottes anstellen. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der iranischfranzösische Fotograf Abbas in seiner Arbeit mit Religionen. Seine Fotos werden weltweit in zahlreichen Zeitschriften und Magazinen veröffentlicht. Jetzt zeigt das Stadthaus Ulm erstmals einen Querschnitt aus seinem Werk. Anlass für die Ausstellung mit dem Titel „Zwischen Mythos und Mythologie“ist das Münsterturmjubiläum.
Tausende Männer werfen sich betend nieder vor einer prächtigen Moschee in Delhi. Es ist ein beeindruckender Moment der inneren Einkehr, den Abbas da 1994 festgehalten hat. Das Bild hängt als monumentaler Abzug im Treppenhaus des Stadthauses und ist als Pendant zum gotischen Ulmer Münster mit dem höchsten Kirchturm der Welt zu verstehen, den man aus der Ausstellung heraus immer wieder erblickt. Ein junger Mann mit drei verschleierten Mädchen auf einem Motorroller im Iran, ein buddhistischer Mönch im Zwiegespräch mit seinem Schüler in einem Park in Bangkok, fundamentalistische Christen bei einer Kundgebung in Alabama, ein aufgebahrtes Kind im Kreise seiner trauernden Familie in Mexiko: Abbas zeigt in seinen Fotografien alle Facetten der großen Religionen – sprich, die politischen und fanatischen, die rituellen und spirituellen Momente. 111 Bilder umfasst die Schau in Ulm. Kurator Raimund Kast hat sie gemeinsam mit dem berühmten Fotojournalisten thematisch gruppiert und bewusst dicht gehängt, sodass sie wie ein Film vor dem Auge des Betrachters ablaufen.
Konsequent in Schwarz-Weiß
Im Fokus der Ausstellung stehen journalistische Aufnahmen. Es sind Momente mit dokumentarischem, ja historischem Charakter. Zwischendrin finden sich aber auch ästhetische Bilder, in denen ein künstlerischer Anspruch deutlich wird. Bis heute arbeitet der 70-jährige Perser konsequent in Schwarz-Weiß. Das hat verschiedene Gründe. „Sobald ich eine Kamera in der Hand habe, sehe ich Schwarz-Weiß“, erklärt Abbas. Außerdem will er nicht die Realität abbilden, sondern sie transzendie- ren. Zugleich haben Schwarz-WeißBilder seiner Meinung nach mehr Symbolkraft und strahlen mehr Dramatik aus als bunte. Für ihn ist die Fotografie sowieso nichts anderes als „Schreiben mit Licht“.
Anlass für Abbas, der seit vielen Jahren in Paris lebt, sich dem Thema Religion zu widmen, war die Revolution von 1978 bis 1980 in seiner iranischen Heimat. Kurz vor dem Umsturz hatte er Ayatollah Khomeini porträtiert – das Foto ging um die Welt – sowie den Schah und seine hochdekorierten Generäle abgelichtet. Für das, was dann wenig später geschah, gibt es nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine brutale Szene: eine Frau, die vom fanatisierten Mob auf offener Straße gelyncht wird, weil sie als Schah-Anhängerin gilt, während im Hintergrund die amerikanische Freiheitsstatue auf einem Plakat prangt.
Die Erlebnisse während der iranischen Revolution waren der Anfang und der Grund für seine Skepsis gegenüber der Religion, allen Religionen. Denn wie Abbas auf seinen Reisen rund um den Globus feststellen musste, gibt es nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum, Judentum sowie in anders glaubenden Gesellschaften radikale Tendenzen, die zu Ideologien werden und Kriege auslösen können. Tatsächlich blicken amerikanische Christen auf einer Demonstration genauso hasserfüllt in die Kamera wie radikale Moslems. Das ist erschreckend. Andererseits hat Abbas auch immer wieder Momente der Einkehr eingefangen, wie etwa zwei friedlich betende Pilger auf der Hadsch, verzückte Christen im Sudan bei der Taufe im Fluss oder die Frau in der Burka auf einem einsamen Friedhof in den Bergen.
Die Fotografien des Franzosen mit iranischen Wurzeln schärfen den Blick. Sie zeigen einfühlsam und drastisch, wozu Menschen im Namen Gottes in der Lage sind. Bemerkenswert ist zudem, dass die Schau als einzige in Ulm den kritischen Aspekt von Religionen unter all den Lobeshymnen zum Münsterturmjubiläum beleuchtet. Allein schon deswegen ist sie eine Reise wert.