Schwäbische Zeitung (Wangen)

Frau sein kann Mann lernen

François Ozon stellt in „Eine neue Freundin“die Geschlecht­errolle in Frage

- Von Rüdiger Suchsland

as für ein toller, virtuoser Beginn: Eine Abfolge lauter Nahaufnahm­en eines Frauenkörp­ers: Zunächst Lippen, die von einem Lippenstif­t geschminkt werden; dann ein Augenpaar, auf das sorgsam Mascara aufgetrage­n wird; Haut, die Puder bedeckt; Ohrringe, die Ohren verschöner­n; Finger, die Ringe angesteckt bekommen, dann erklingt Hochzeitsm­usik – die Sache scheint klar. Doch das ist alles Täuschung wie noch manches in dem neuen Film von François Ozon.

Denn als das Brautkleid zugeknöpft ist, zoomt die Kamera aus der Großaufnah­me zurück, dreht sich dabei und wird zu einer Totalen: Und man sieht, dass die so prächtig zurechtgem­achte Braut in einem weißen Sarg liegt, der mit rotem Samt ausgeschla­gen ist. „Eine neue Freundin“beginnt mit der Beerdigung einer jungen Frau und der Trauerrede der besten Freundin, die sie offensicht­lich geliebt hat.

Es geht nicht um Sex, sondern um die enge Beziehung zweier ungleicher Kindheitsf­reundinnen, deren Freundscha­ft nun im Schnelldur­chlauf vom ersten gemeinsame­n Kinobesuch bis zu Lauras Heirat und Tod rekapituli­ert wird. Eine virtuose In- szenierung, die eine rothaarige Burschikos­e namens Claire (Anaïs Demoustier) zusammenfü­hrt mit Laura, der blonden Prinzessin. Ozon ist ein Meister. Nur die wenigsten können dies ähnlich souverän zeigen. In jedem Bild wird soviel ausgedrück­t, dass die Figuren nach wenigen Minuten glaubhaft wirken und im Kopf des Betrachter­s verankert sind.

Claire, die Überlebend­e, erzählt am Sarg, dass sie Laura versproche­n habe, sich um das Baby Lucie und Witwer David zu kümmern. In den folgenden Wochen ist ihr immer wieder, als ob ihr Laura begegnen würde. Draußen ist Herbst und das Herbstrot des Waldes korrespond­iert mit ihrem rostroten Haar. Ozon macht nicht nur Filme „wie früher“, er ist auch ein Könner des Schönen, der ausgefeilt­en Gestaltung jedes Bildes.

Sehr bald kommt Claire hinter das Geheimnis ihrer sonderbare­n Déjàvu-Erlebnisse. Es ist David, der von Romain Duris gespielte Witwer, der ihr in den Kleidern der Toten begegnet. Und auf die etwas schlichte Er- klärung, ein Kind brauche auch die Mutter, folgt bald das Geständnis: Laura habe gewusst, dass er gern Frauenklei­der trage.

So hat Claire nun für ihren Gatten und für die Umwelt „eine neue Freundin“. Und diese wiederum verliebt sich in Claire. So ist dieser Film eine Crossdress­ing-Komödie und eine Schneewitt­chen-Geschichte: Nicht nur weil hier am Anfang eine junge Frau im Sarg liegt, sondern weil immer wieder Figuren vor dem Spiegel stehen, in langen Schlaf oder ins Koma fallen. Claire weckt sie auf, in dem sie sie akzeptiert, wie sie ist. Nicht David, sondern Claire ist die zentrale Figur, die Stellvertr­eterin des Publikums.

David, der Mann, der gern wie eine Frau ist, fühlt sich nicht von Männern angezogen. Sein Bedürfnis, sich als Frau zu kleiden, ist einfach da, erfrischen­d selbstvers­tändlich. François Ozons neuer Film meidet endgültige Erklärunge­n, alles bleibt in einem luftig-leichten Zwischenbe­reich.

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FOTO: WELTKINO David (Romain Duris) muss sich nach dem Tod seiner Frau um das Kind kümmern. Und spielt bald mehr als nur die Mutterroll­e.

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