Frau sein kann Mann lernen
François Ozon stellt in „Eine neue Freundin“die Geschlechterrolle in Frage
as für ein toller, virtuoser Beginn: Eine Abfolge lauter Nahaufnahmen eines Frauenkörpers: Zunächst Lippen, die von einem Lippenstift geschminkt werden; dann ein Augenpaar, auf das sorgsam Mascara aufgetragen wird; Haut, die Puder bedeckt; Ohrringe, die Ohren verschönern; Finger, die Ringe angesteckt bekommen, dann erklingt Hochzeitsmusik – die Sache scheint klar. Doch das ist alles Täuschung wie noch manches in dem neuen Film von François Ozon.
Denn als das Brautkleid zugeknöpft ist, zoomt die Kamera aus der Großaufnahme zurück, dreht sich dabei und wird zu einer Totalen: Und man sieht, dass die so prächtig zurechtgemachte Braut in einem weißen Sarg liegt, der mit rotem Samt ausgeschlagen ist. „Eine neue Freundin“beginnt mit der Beerdigung einer jungen Frau und der Trauerrede der besten Freundin, die sie offensichtlich geliebt hat.
Es geht nicht um Sex, sondern um die enge Beziehung zweier ungleicher Kindheitsfreundinnen, deren Freundschaft nun im Schnelldurchlauf vom ersten gemeinsamen Kinobesuch bis zu Lauras Heirat und Tod rekapituliert wird. Eine virtuose In- szenierung, die eine rothaarige Burschikose namens Claire (Anaïs Demoustier) zusammenführt mit Laura, der blonden Prinzessin. Ozon ist ein Meister. Nur die wenigsten können dies ähnlich souverän zeigen. In jedem Bild wird soviel ausgedrückt, dass die Figuren nach wenigen Minuten glaubhaft wirken und im Kopf des Betrachters verankert sind.
Claire, die Überlebende, erzählt am Sarg, dass sie Laura versprochen habe, sich um das Baby Lucie und Witwer David zu kümmern. In den folgenden Wochen ist ihr immer wieder, als ob ihr Laura begegnen würde. Draußen ist Herbst und das Herbstrot des Waldes korrespondiert mit ihrem rostroten Haar. Ozon macht nicht nur Filme „wie früher“, er ist auch ein Könner des Schönen, der ausgefeilten Gestaltung jedes Bildes.
Sehr bald kommt Claire hinter das Geheimnis ihrer sonderbaren Déjàvu-Erlebnisse. Es ist David, der von Romain Duris gespielte Witwer, der ihr in den Kleidern der Toten begegnet. Und auf die etwas schlichte Er- klärung, ein Kind brauche auch die Mutter, folgt bald das Geständnis: Laura habe gewusst, dass er gern Frauenkleider trage.
So hat Claire nun für ihren Gatten und für die Umwelt „eine neue Freundin“. Und diese wiederum verliebt sich in Claire. So ist dieser Film eine Crossdressing-Komödie und eine Schneewittchen-Geschichte: Nicht nur weil hier am Anfang eine junge Frau im Sarg liegt, sondern weil immer wieder Figuren vor dem Spiegel stehen, in langen Schlaf oder ins Koma fallen. Claire weckt sie auf, in dem sie sie akzeptiert, wie sie ist. Nicht David, sondern Claire ist die zentrale Figur, die Stellvertreterin des Publikums.
David, der Mann, der gern wie eine Frau ist, fühlt sich nicht von Männern angezogen. Sein Bedürfnis, sich als Frau zu kleiden, ist einfach da, erfrischend selbstverständlich. François Ozons neuer Film meidet endgültige Erklärungen, alles bleibt in einem luftig-leichten Zwischenbereich.