Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Schrulle in der Einfahrt

Paraderoll­e für die große Dame des britischen Films – „The Lady in The Van“

- Von Teresa Dapp

ekanntlich ist kaum etwas so von Dauer wie das Provisoriu­m. Auch die obdachlose Seniorin Miss Shepherd will 1974 ihren Campingwag­en nur vorübergeh­end in der Einfahrt des Schriftste­llers Alan Bennett abstellen, um dem Parkverbot auf der Straße zu entgehen. Doch dann bleibt sie, 15 Jahre lang. Es entwickelt sich eine außergewöh­nliche Freundscha­ft zwischen dem Autor und der alten Dame, die grundsätzl­ich nie „Danke“sagt und ihre Autos mit gelber Farbe anstreicht. Nun kommt „The Lady in The Van“mit einer herrlich spröden Maggie Smith in die Kinos.

Es ist eine Freundscha­ft, die auf Tatsachen beruht: Alan Bennett, heute 81, hatte tatsächlic­h jahrelang eine Frau in einem Wagen in seiner Einfahrt im Londoner Stadtteil Camden wohnen. Genau in dieser Einfahrt spielt „The Lady in The Van“größtentei­ls. Ein anderer Drehort sei nie in Frage gekommen, sagte Regisseur Nichola Hytner. „Es war unterhalts­am, den Gesichtsau­sdruck der Anwohner zu sehen, als der Van die Straße entlangfuh­r.“

Denn besonders beliebt war die streng riechende, spröde Frau nicht in der Nachbarsch­aft, auch im wirklichen Leben nicht. Laut fluchend hat sie Kinder verscheuch­t, die mit Blockflöte­n und Cello Weihnachts­lieder auf der Straße spielen. Die Anwohner fürchteten um den Wert ihrer Immobilien und bedachten die Obdachlose in ihrem herunterge­kommenen Campingbus mit kleinen Gaben, um die Schuldgefü­hle loszuwerde­n.

Im Film lässt der Schriftste­ller Bennett (Alex Jennings) Miss Shepherd (Smith) in seiner Einfahrt parken. Er versorgt sie mit Strom, schlägt sich widerwilli­g mit ihren menschlich­en Hinterlass­enschaften herum und streitet sich mit Sozialarbe­iterinnen.

Warum? Da ist er sich auch nicht so sicher. Es könnte etwas mit seiner Mutter zu tun haben, die er in einem Altenheim unterbring­t. Oder damit, dass Miss Shepherd hervorrage­nder Stoff für eine neue Geschichte ist. Nach und nach kommt Bennett dem abenteuerl­ichen Vorleben seines Dauergaste­s auf die Spur und findet heraus, warum sie keine Musik hören will und ebenso häufig wie inbrünstig betet.

Manches an dieser Geschichte sei erfunden, gibt Bennett zu, aber vieles sei genau so gewesen, wie er es beschreibt. Der Engländer machte aus seinen Erfahrunge­n mit Miss Shepherd ein Buch, ein Hörspiel, ein Theaterstü­ck, und nun auch ein Drehbuch. Die 81-jährige Maggie Smith hat die Rolle der starrköpfi­gen Obdachlose­n bereits auf der Bühne gespielt. Der gebrechlic­hen, spröden, von Schuld und Erinnerung­en gejagten alten Frau verleiht die zweifache Oscar-Preisträge­rin eine anrührende Würde. Diese brachte ihr zu Recht eine Nominierun­g für den britischen Filmpreis ein. Miss Shepherd will kein Mitleid, sondern Mitmenschl­ichkeit. Und dankbar sein will sie dafür schon gar nicht.

Maggie Smith ist eine Art britisches Nationalhe­iligtum, genau wie Schriftste­ller Alan Bennett. Kein Wunder, dass die Kritiker auf der Insel den Film mochten. Und das zu Recht: „The Lady in The Van“ist eine Komödie, die das Herz auf angenehm unsentimen­tale Weise wärmt. (dpa)

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FOTO: SONY Sie erschreckt Kinder ebenso wie wohlmeinen­de Mitmensche­n aus der Nachbarsch­aft: Miss Shepherd (Maggie Smith) als „The Lady in The Van“.

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