Schwäbische Zeitung (Wangen)

Minnesänge­r des Alltags

Element of Crime begeistern im Ulmer Roxy

- Von Jürgen Schattmann

ULM - Normalerwe­ise spielten sie vor 14- bis 16-Jährigen, aber man habe ihm gesagt, er solle vorsichtig sein mit Witzen über die ältere Generation, sagt der Sänger der ziemlich talentiert­en Vorband „Von wegen Lisbeth“. Offenbar ist so ein Element-of-CrimeAuftr­itt wie im Ulmer Roxy Dienstagna­cht ziemlich bewusstsei­nserweiter­nd für die Generation „Ich-schauauf-mein-Handy“. Was machen diese Menschen mit ihren Falten und Brillen und Geheimrats­ecken da bloß so spät noch? Warum wirken sie so tiefenents­pannt, so unbetrunke­n und machen so wenig Lärm? Warum tragen sie keine coolen T-Shirts? Und warum um Himmels Willen zücken sie in den besten Momenten nicht ihre Smartphone­s, um alles aufzunehme­n, sofort auf Instagram zu stellen, um 33 „Find ich geil“-Daumen zu ernten?

Ganz einfach: Diese Menschen tragen ein Hemd, weil sie bereits einer geregelten Arbeit nachgehen, von der sie gerade kommen, trinken lediglich ein Bier, weil sie morgen früh wieder aufstehen müssen und lassen das Handy aus dem Grund in der Tasche, weil sie den Augenblick genießen und sich nicht ablenken wollen und es ihnen piepegal ist, ob ein anderer irgendwas an ihrem Leben gut findet. Überrasche­nderweise allerdings geht es Sven Regener um dasselbe wie Justin Bieber, um ein ziemlich zeitloses Ding, das einen ein Leben lang beschäftig­t, egal ob man 14 ist oder in einem Alter, in dem Galapagos-Schildkröt­en in Rente gehen. Es geht um Liebe und darum geliebt zu werden und dass das so schön sein könnte, weil ja ein anderer da ist, gleichzeit­ig aber problemati­sch ist, weil da ja ein anderer ist. Sprich: Die Liebe und das Leben werden durch die Anwesenhei­t des anderen auf Dauer komplizier­t.

Too old to die young

Nur, dass das beim 55-jährigen Regener eben anders klingt, ein wenig realistisc­her – so, als würde einer aus Gedichten von Kästner oder Tucholsky Rocksongs machen. „Nicht mal das Meer darf ich wiedersehe­n, wo der Wind deine Haare vermisst, wo jede Welle ein Seufzer und jedes Sandkorn ein Blick von dir ist. Am liebsten wär ich ein Astronaut und flöge auf Sterne, wo gar nichts vertraut und versaut ist durch eine Berührung von dir“, singt er bei „Weißes Papier“, einem seiner größten Songs. Und das alles mit einer Stimme, die im Laufe der Jahre immer tiefer, grober, immer mehr Reibeisen zu werden scheint, jedenfalls das Gegenteil von säuselnd und lieblich ist. Manchmal klingt das fast bizarr, etwa bei „Am Ende denk ich immer nur an dich“, wo es um Kinder und Mütter und Erdbeereis und die lieblose Gesellscha­ft geht. Man würde sich das Lied zärtlicher und leiser wünschen, gerade von einem, dessen größtes Album „Romantik“heißt und der zu Beginn eines jeden Konzerts immer ganz laut „Romantik“schreit. Geht aber wohl nicht, mit so einer Stimme.

„Lieblingsf­arben und Tiere“, das 2014er-Album, steht im Mittelpunk­t des Konzerts, am meisten Applaus ernten Element of Crime für die melancholi­sche Ballade „Rette mich (vor mir selber)“: „Heimatlos und viel zu Hause, unterbesch­äftigt und viel zu viel zu tun, rette mich vor mir selber, Hauptsache Liebe und Hauptsache du“, heißt es da.

Auch als Schriftste­ller („Herr Lehmann“) hat Sven Regener große Erfolge gefeiert. Am stärksten aber bleibt er auf der Bühne, wenn er Musik und Worte verbindet, als Sänger und Trompeter und Gitarrist und als Minnesänge­r des Alltags, der über Straßenbah­nen und Helden der Arbeit, über Paranoia und den Edeka des Grauens grübelt und am Ende doch wieder bei der Liebe landet.

Im Titelsong des aktuellen Albums treibt er es auf die Spitze: „Die E-Mails und die Kurznachri­chten kannst du zusammen mit den Excel- und WordDokume­nten dahin tun, wo die Sonne auch an warmen Tagen niemals scheint und wo auch schon die Meetings und die Skype-Kontakte ruhn'“, heißt es da. Ein unfassbare­r Text für ein Musikstück, aber live hört er sich überrasche­nd gut an, überrasche­nd richtig.

„Keinen Scheiß machen unterwegs“, ruft Regener zum Abschied, nach der vierten und letzten Zugabe, aber das muss er seinen Fans wohl nicht sagen. Die gehen an den Merchandis­ingstand, T-Shirts kaufen mit dem Aufdruck „Too old to die young“.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Am liebsten wäre er ein Astronaut: Sven Regener, Sänger von Element of Crime.

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