Jetzt twittern auch die Bäume
Übers Internet publizierte Vitalwerte sollen helfen, den Klimawandel zu verstehen
FRANKFURT/ODER - Dass Menschen mit ihren Pflanzen sprechen, ist nicht ungewöhnlich. Doch jetzt melden sich die Bäume auch zurück, und zwar in Echtzeit wie beim Kurznachrichtendienst Twitter. „Wir haben eine Sprache gefunden, wie diese mit uns kommunizieren können“, sagt die Ökophysiologin Kathy Steppe, Forscherin an der belgischen Universität Gent. Die Forscherin will wissen, wie es Pflanzen im Klimawandel ergeht.
In Joachimsthal, gut 70 Kilometer nordöstlich von Berlin, steht eine von Steppes Test-Birken. Die Wissenschaftlerin will am Rande eines Kongresses in Joachimsthal Kollegen vorführen, wie sie die Bäume zum Sprechen bringt. Mit Zauberei habe dies wenig zu tun. „Die Bäume werden einfach mit Messfühlern und Sensoren ausgestattet, die ihre Vitalwerte per WLan direkt ins Internet senden“, erläuterte sie. „Es funktioniert wie ein Fitnesstracker beim Menschen.“Im Kern geht es darum, Veränderungen im Wasserhaushalt von Bäumen zu erkennen. „Der Wassertransport ist der Herzschlag eines Baums“, sagt Andreas Bolte, Leiter des Eberswalder Thünen-Instituts für Waldökosysteme, das als Bundesforschungsinstitut an dem Projekt beteiligt ist. Letztlich könnten die gesendeten Informationen über Verdunstung und Wasserfluss bei starker Trockenheit mit der Formel „Hilfe, ich habe Durst“übersetzt werden.
Der Klimawandel und damit einhergehende Extremwetterlagen setzen Bäumen in ganz Europa mächtig zu. Über vier Jahre haben Genetiker, Ökophysiologen, Holz-Anatomen und Pflanzenökologen im Rahmen eines europäischen Forschernetzwerks sich dieses Themas angenommen und gesammelte Daten zusammengetragen. „Die allgemeingültige Antwort gibt es nicht, wie Wäldern geholfen werden kann. Es ging für uns in einem ersten Schritt darum zu verstehen, wie einzelne Baumarten auf extreme Trockenheit überhaupt reagieren“, erklärt Bolte. Fichten zum Beispiel reagierten sensibel auf Trockenheit, Eichen seien resistenter. „Uns interessierte, warum ein Baum besser mit Trockenheit oder Kälte klarkommt und ein anderer nicht“, sagte er weiter. „Erst so haben wir ein Handwerkszeug, um eingreifen zu können“, betont der Experte..
Die „Twittering Trees“seien deshalb ein sehr wichtiger Baustein in den Untersuchungen, sagt Kathy Steppe. „Sie senden ihre Daten ungefiltert raus. Jeder kann so sehen, wie es den Bäumen geht. Das sensibilisiert über Social Media die Menschen.“In Belgien twittern bislang schon sechs mit solchen Systemen ausgerüstete Bäume, in den Niederlanden einer. Bolte will die VorführAnlage aus Joachimsthal nach Kongressende am Donnerstag mit ins brandenburgische Eberswalde nehmen und einer Kiefer in der Schorfheide anlegen.
Steppes großes Ziel ist es, über die „Twittering Trees“ein europaweites ökologisches Frühwarnsystem zu installieren. „Dafür brauchen wir aber noch jede Menge twitternde Bäume“, so die Forscherin.