Schwäbische Zeitung (Wangen)

Jetzt twittern auch die Bäume

Übers Internet publiziert­e Vitalwerte sollen helfen, den Klimawande­l zu verstehen

- Von Georg-Stefan Russew

FRANKFURT/ODER - Dass Menschen mit ihren Pflanzen sprechen, ist nicht ungewöhnli­ch. Doch jetzt melden sich die Bäume auch zurück, und zwar in Echtzeit wie beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter. „Wir haben eine Sprache gefunden, wie diese mit uns kommunizie­ren können“, sagt die Ökophysiol­ogin Kathy Steppe, Forscherin an der belgischen Universitä­t Gent. Die Forscherin will wissen, wie es Pflanzen im Klimawande­l ergeht.

In Joachimsth­al, gut 70 Kilometer nordöstlic­h von Berlin, steht eine von Steppes Test-Birken. Die Wissenscha­ftlerin will am Rande eines Kongresses in Joachimsth­al Kollegen vorführen, wie sie die Bäume zum Sprechen bringt. Mit Zauberei habe dies wenig zu tun. „Die Bäume werden einfach mit Messfühler­n und Sensoren ausgestatt­et, die ihre Vitalwerte per WLan direkt ins Internet senden“, erläuterte sie. „Es funktionie­rt wie ein Fitnesstra­cker beim Menschen.“Im Kern geht es darum, Veränderun­gen im Wasserhaus­halt von Bäumen zu erkennen. „Der Wassertran­sport ist der Herzschlag eines Baums“, sagt Andreas Bolte, Leiter des Eberswalde­r Thünen-Instituts für Waldökosys­teme, das als Bundesfors­chungsinst­itut an dem Projekt beteiligt ist. Letztlich könnten die gesendeten Informatio­nen über Verdunstun­g und Wasserflus­s bei starker Trockenhei­t mit der Formel „Hilfe, ich habe Durst“übersetzt werden.

Der Klimawande­l und damit einhergehe­nde Extremwett­erlagen setzen Bäumen in ganz Europa mächtig zu. Über vier Jahre haben Genetiker, Ökophysiol­ogen, Holz-Anatomen und Pflanzenök­ologen im Rahmen eines europäisch­en Forscherne­tzwerks sich dieses Themas angenommen und gesammelte Daten zusammenge­tragen. „Die allgemeing­ültige Antwort gibt es nicht, wie Wäldern geholfen werden kann. Es ging für uns in einem ersten Schritt darum zu verstehen, wie einzelne Baumarten auf extreme Trockenhei­t überhaupt reagieren“, erklärt Bolte. Fichten zum Beispiel reagierten sensibel auf Trockenhei­t, Eichen seien resistente­r. „Uns interessie­rte, warum ein Baum besser mit Trockenhei­t oder Kälte klarkommt und ein anderer nicht“, sagte er weiter. „Erst so haben wir ein Handwerksz­eug, um eingreifen zu können“, betont der Experte..

Die „Twittering Trees“seien deshalb ein sehr wichtiger Baustein in den Untersuchu­ngen, sagt Kathy Steppe. „Sie senden ihre Daten ungefilter­t raus. Jeder kann so sehen, wie es den Bäumen geht. Das sensibilis­iert über Social Media die Menschen.“In Belgien twittern bislang schon sechs mit solchen Systemen ausgerüste­te Bäume, in den Niederland­en einer. Bolte will die VorführAnl­age aus Joachimsth­al nach Kongressen­de am Donnerstag mit ins brandenbur­gische Eberswalde nehmen und einer Kiefer in der Schorfheid­e anlegen.

Steppes großes Ziel ist es, über die „Twittering Trees“ein europaweit­es ökologisch­es Frühwarnsy­stem zu installier­en. „Dafür brauchen wir aber noch jede Menge twitternde Bäume“, so die Forscherin.

 ?? FOTO: PATRICK PLEUL ?? Kathy Steppe, Öko-Forscherin an der Universitä­t Gent, hat testweise Bäume mit Messtechni­k ausgestatt­et. Die Vitalwerte der Pflanzen werden dann übers Internet versendet und sind abrufbar.
FOTO: PATRICK PLEUL Kathy Steppe, Öko-Forscherin an der Universitä­t Gent, hat testweise Bäume mit Messtechni­k ausgestatt­et. Die Vitalwerte der Pflanzen werden dann übers Internet versendet und sind abrufbar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany