Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Junge Menschen sind ein knappes Gut“

Experte Ulrich Bürger zeigt im Kreistag die Folgen des demographi­schen Wandels auf

- Von Lydia Schäfer

FRIEDRICHS­HAFEN - Ulrich Bürger vom Kommunalve­rband für Jugend und Soziales des Landes BadenWürtt­emberg (KVJS) hat am Montag dem Jugend- und Sozialauss­chuss des Kreistages die Expertise „Kinderund Jugendhilf­e im demografis­chen Wandel“vorgestell­t. In Kinderbetr­euungsange­boten und Bildung müsse quantitati­v und qualitativ jetzt investiert werden, um dem demografis­chen Wandel im Kreis und mögliche soziale Spannungen aufzufange­n.

Die Expertise des Jugendhilf­eplaners Bürgers ist eine Fortschrei­bung einer gleichnami­gen Studie von vor fünf Jahren. Eingearbei­tet sind hier die neuesten Einwanderu­ngszahlen. „Das heißt, auch die Flüchtling­szahlen sind hier bereits enthalten. Aber Baden-Württember­g ist immer schon Einwanderu­ngsland gewesen, auch innerhalb Deutschlan­ds“, erklärt er, die Anzahl der Flüchtling­e würden somit keine gravierend­en Auswirkung­en haben.

Der demografis­che Wandel ist seit Jahren Thema vieler Gremien. Dass Kinder- und Jugendhilf­e ebenfalls davon betroffen sind, machte Bürger in seinem Vortrag deutlich. Man müsse in die Lebensqual­ität der Kinder, Jugendlich­en und jungen Familien investiere­n, „um sie vor Ort zu halten. Niemand darf verloren gehen“, appelliert er.

Der Bodenseekr­eis sei von diesem Credo nicht ausgenomme­n. Die Bevölkerun­gszahl bis zum Jahr 2060 wird in Baden-Württember­g zwar steigen, aber die Struktur verändert sich. In den kommenden zwei Jahrzehnte­n verändert sich der Anteil an Bürgern im erwerbstät­igen Alter zwischen 21 und 65 Jahren sowie der Anteil an Rentnern nicht – ab 2030 schon. „Im Jahr 2060 ist schließlic­h zu erwarten, das gut 30 Prozent der Bevölkerun­g in Baden-Württember­g aus Rentnern besteht“. Gleichzeit­ig sinke aber die Zahl der unter 21-Jährigen von 2,19 Millionen um minus 10 Prozent auf 1,98 Millionen Kinder und Jugendlich­e. Betrachte man den Versorgung­squotiente­n (VQ), also der Rechnungsw­ert, wie viele 21- bis 65-Jährige das Land braucht, um die Rentner zu versorgen, so steigt dieser von 67 (VQ) auf 93 (VQ) bis 2060. Renten aus dem sogenannte­n Generation­envertrag greifen da schon lange nicht mehr. „Was wir jetzt an demografis­chen Wandel erleben, ist ein laues Lüftchen“, sagt Bürger.

Er fordert: „Es muss eine deutliche Verbesseru­ng in der Vereinbark­eit von Familie und Berufstäti­gkeit für beide Elternteil­e geboten werden. Es muss in eine frühzeitig­e und umfassende Förderung und Bildung aller jungen Menschen investiert werden. Und mit Bildung meine ich nicht nur Schule, sondern auch Vereinsarb­eit und Freizeitge­staltung“. Die letztgenan­nte Herausford­erung gewinne insbesonde­re an Bedeutung, da „die Anzahl der Kinder in bildungsfe­rnen Familien und in Familien mit Migrations­hintergrun­d aufwachsen zunehmen werden. In Deutschlan­d haben heute noch Kinder aus diesen Bildungssc­hichten kaum Möglichkei­ten auf eine umfassende Bildung“.

Auch wenn es sich paradox anhöre, der demografis­che Wandel und der damit verbundene­n Rückgang in der Zahl junger Menschen, erfordere mehr Investitio­n in diese Altersgrup­pe. Die Ernsthafti­gkeit, mit der dieser Sachverhal­t zu Kenntnis genommen werde, verbunden mit einer zeitnahen Umsetzung, werde wesentlich über die Zukunftsch­ancen der Städte und Gemeinden entscheide­n. „Die Politik hat erkannt, dass junge Menschen ein knappes Gut sind“– das sei positiv, aber es müssten noch mehr Taten folgen.

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