Schwäbische Zeitung (Wangen)

Über 200 Arbeiter ließen beim Bau des Tunnels ihr Leben

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Von den vielen Reisenden, die in den vergangene­n 134 Jahren auf der berühmten Bahnstreck­e über den Gotthard unterwegs waren, war wohl den allerwenig­sten klar, unter welchen Opfern diese Nord-Süd-Verbindung über die Alpen im vorletzten Jahrhunder­t realisiert worden ist. Nachfolgen­d einige Namen und Fakten aus der Geschichte dieses spektakulä­ren Bahnbaues sowie ein Blick in die Unglücksch­ronik der exponierte­n Strecke: Der Politiker und Bankier Escher ist Präsident der 1871 gegründete­n Gotthardba­hngesellsc­haft (GB). Er managt die Finanzieru­ng des damals auf 167 Millionen Franken veranschla­gten Projektes, zu der Italien, das Deutsche Reich und die Schweiz selbst beitragen. Zeitweise ist der Bau infrage gestellt. Die Aktien der Gesellscha­ft fallen ins Bodenlose. Die genannten Länder schießen nach einer weiteren internatio­nalen Konferenz Millionen nach. Bauunterne­hmer ist Louis Favre. Er steht unter Zeitdruck. In acht Jahren, so hat er versproche­n, soll der Tunnel fertig sein – in Anbetracht unbekannte­r geologisch­er Verhältnis­se ein riskantes Verspreche­n. Bei Überschrei­tung der Bauzeit drohen hohe Konvention­alstrafen. Favre hat mit großen technische­n Schwierigk­eiten zu kämpfen. Man stößt auf instabile Gesteinssc­hichten. Wassereinb­rüche sind an der Tagesordnu­ng. Der ständige Stress ist zu viel für sein Herz. Er stirbt erst 53-jährig im Tunnel. Die Bedingunge­n, unter denen bis zu 1645 Arbeiter, vorwiegend Italiener aus armen Gegenden, in Göschenen (Nordportal des Tunnels) und weitere 1302 in Airolo (Südportal) schuften müssen, sind miserabel. Sie leben in üblen Verschläge­n und werden ausgebeute­t. Viele leiden an Wurmkrankh­eiten, Durchfall und Typhus, auch an Silikose. 199 sterben während der Bauarbeite­n, von Wagen oder Lokomotive­n zerquetsch­t, von Felsen erschlagen, durch Dynamit getötet. Nicht wenige erliegen noch Jahre später, nachdem im Mai 1882 drei Tage lang die neue Bahnstreck­e samt Tunnel mit über 600 Gästen aus ganz Europa feierlich eingeweiht worden ist, den Spätfolgen schlechter Ernährung, ruinöser Überforder­ung und Krankheit. 1875 kommt es in Göschenen zu einem Aufstand der Arbeiter. Sie streiken, blockieren den Tunneleing­ang. Ihre Forderung: ein Franken mehr pro Tag. Reaktion der Behörden: Eine Milizeinhe­it schießt in die Menge. Vier Arbeiter sterben, mehrere werden schwer verletzt. In etlichen europäisch­en Ländern erscheinen daraufhin kritische Berichte, doch an der Lage der Arbeiter ändert sich wenig. Ein Denkmal in Airolo in der Nähe des Bahnhofes erinnert an ihr Schicksal. (gp) Alfred

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