Türkischer Ärger über Armenien-Resolution
ritik an innenpolitischen Gegnern und außenpolitischen Partnern gehört zu den Grundelementen jeder Rede des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Doch ein kontroverses Thema meidet der sonst so Streitlustige konsequent: Mit keinem Wort erwähnte er bisher die am Donnerstag bevorstehende Armenien-Resolution im Deutschen Bundestag. Das bringt Erdogan jetzt in eine ungewohnte Position. Ausgerechnet dem Scharfmacher wird vorgeworfen, vor den Deutschen zu kuschen.
Die Entschließung sei ein politisches Manöver seitens Deutschland, um Ankara unter Druck zu setzen, sagen türkische Nationalisten – und die Türkei lasse dies ohne Einspruch geschehen. „Wo bleibt der Aufschrei?“, fragte der frühere Generalstabschef Ilker Basbug. Seit Jahren wehrt sich die Türkei mit diplomatischem und politischem Druck gegen die internationale Anerkennung des Massenmordes an den Armeniern als Genozid. Bei der Bundestagsresolution geht es aber aus türkischer Sicht auch um hochaktuelle Machtpolitik zwischen Europa und Ankara.
Ex-General Basbug und andere Nationalisten sind überzeugt, dass die geplante Entschließung mit dem europäisch-türkischen Flüchtlingsabkommen zusammenhängt. Beim Thema Flüchtlinge ist die Türkei als Torwächter gegenüber der EU in einer starken Position. Mit der Resolution wolle Berlin dieser politischen Trumpfkarte Ankaras etwas entgegensetzen, vermutet Basbug.
Umso rätselhafter erscheint es nationalistischen Kritikern der Regierung in Ankara, dass Erdogan und andere führende Politiker das Armenier-Thema nicht ansprechen. Mit Genugtuung registrierten die Medien die Kundgebung türkischer Verbände am Samstag in Berlin.
Opposition macht Druck
Da Erdogan schweigt, übernimmt die nationalistische Opposition den Versuch, Druck auf den Bundestag auszuüben. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu forderte in einem Brief an Merkel und andere deutsche Spitzenpolitiker, Berlin solle den Entschließungsantrag zur ArmenierFrage zurückziehen. Mehr als hundert Ex-Abgeordnete von Kilicdaroglus Partei CHP verfassten ein eigenes Schreiben an die deutschen Parlamentarier, um gegen die „hässliche Lüge“vom Völkermord zu protestieren. Auch die Nationalistenpartei MHP betonte, der Bundestag habe kein Recht, sich als Richter über die Geschichte aufzuspielen.
Dass Erdogan und die Regierung in Ankara die Bundestagsresolution bisher ignorieren, liegt unter anderem daran, dass die Türkei ihre Reaktion auf den geplanten Berliner Beschluss genau abwägen muss. Zwar dürften der Präsident und sein neuer Ministerpräsident Binali Yildirim die Entschließung nicht ohne weiteres hinnehmen – die Einbestellung des deutschen Botschafters in Ankara, Martin Erdmann, sowie die vorübergehende Rückbeorderungen des türkischen Botschafters in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, zählen zu den Optionen. Doch Ankara wird darauf achten, es mit Gegenreaktionen nicht zu übertreiben. Deutschland ist immerhin der wichtigste Handelspartner der Türkei und eine EU-Führungsmacht.