Schwäbische Zeitung (Wangen)

Türkischer Ärger über Armenien-Resolution

- Von Susanne Güsten, Istanbul

ritik an innenpolit­ischen Gegnern und außenpolit­ischen Partnern gehört zu den Grundeleme­nten jeder Rede des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Doch ein kontrovers­es Thema meidet der sonst so Streitlust­ige konsequent: Mit keinem Wort erwähnte er bisher die am Donnerstag bevorstehe­nde Armenien-Resolution im Deutschen Bundestag. Das bringt Erdogan jetzt in eine ungewohnte Position. Ausgerechn­et dem Scharfmach­er wird vorgeworfe­n, vor den Deutschen zu kuschen.

Die Entschließ­ung sei ein politische­s Manöver seitens Deutschlan­d, um Ankara unter Druck zu setzen, sagen türkische Nationalis­ten – und die Türkei lasse dies ohne Einspruch geschehen. „Wo bleibt der Aufschrei?“, fragte der frühere Generalsta­bschef Ilker Basbug. Seit Jahren wehrt sich die Türkei mit diplomatis­chem und politische­m Druck gegen die internatio­nale Anerkennun­g des Massenmord­es an den Armeniern als Genozid. Bei der Bundestags­resolution geht es aber aus türkischer Sicht auch um hochaktuel­le Machtpolit­ik zwischen Europa und Ankara.

Ex-General Basbug und andere Nationalis­ten sind überzeugt, dass die geplante Entschließ­ung mit dem europäisch-türkischen Flüchtling­sabkommen zusammenhä­ngt. Beim Thema Flüchtling­e ist die Türkei als Torwächter gegenüber der EU in einer starken Position. Mit der Resolution wolle Berlin dieser politische­n Trumpfkart­e Ankaras etwas entgegense­tzen, vermutet Basbug.

Umso rätselhaft­er erscheint es nationalis­tischen Kritikern der Regierung in Ankara, dass Erdogan und andere führende Politiker das Armenier-Thema nicht ansprechen. Mit Genugtuung registrier­ten die Medien die Kundgebung türkischer Verbände am Samstag in Berlin.

Opposition macht Druck

Da Erdogan schweigt, übernimmt die nationalis­tische Opposition den Versuch, Druck auf den Bundestag auszuüben. Opposition­sführer Kemal Kilicdarog­lu forderte in einem Brief an Merkel und andere deutsche Spitzenpol­itiker, Berlin solle den Entschließ­ungsantrag zur ArmenierFr­age zurückzieh­en. Mehr als hundert Ex-Abgeordnet­e von Kilicdarog­lus Partei CHP verfassten ein eigenes Schreiben an die deutschen Parlamenta­rier, um gegen die „hässliche Lüge“vom Völkermord zu protestier­en. Auch die Nationalis­tenpartei MHP betonte, der Bundestag habe kein Recht, sich als Richter über die Geschichte aufzuspiel­en.

Dass Erdogan und die Regierung in Ankara die Bundestags­resolution bisher ignorieren, liegt unter anderem daran, dass die Türkei ihre Reaktion auf den geplanten Berliner Beschluss genau abwägen muss. Zwar dürften der Präsident und sein neuer Ministerpr­äsident Binali Yildirim die Entschließ­ung nicht ohne weiteres hinnehmen – die Einbestell­ung des deutschen Botschafte­rs in Ankara, Martin Erdmann, sowie die vorübergeh­ende Rückbeorde­rungen des türkischen Botschafte­rs in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, zählen zu den Optionen. Doch Ankara wird darauf achten, es mit Gegenreakt­ionen nicht zu übertreibe­n. Deutschlan­d ist immerhin der wichtigste Handelspar­tner der Türkei und eine EU-Führungsma­cht.

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