Bezaubernde Welten
Werke von Wolfram Diehl erinnern an Naturerfahrungen und deuten Geheimnisse an
WEILER/ELLHOFEN - „Zauber für einen Augenblick“heißt vielversprechend die Ausstellung im Kornhaus Weiler, die der Westallgäuer Heimatverein dem in Ellhofen lebenden Künstler Wolfram Diehl widmet. Der Titel könnte in die Irre führen. Denn Besuchern sei geraten, diesen Werken mehr als Augenblicke zu widmen. Doch die Beschreibung trifft zu: Wer schauend in Diehls Bilderwelt eintritt, erforscht, sucht, seinen Erinnerungen und Assoziationen nachspürt, empfindet vielleicht die beglückende Ahnung eines lange währenden Augenblicks.
Viel Natur hat Wolfram Diehl in seinen Bildern eingefangen. Schon ihre organische Anmutung legt nahe, dass ein wacher Geist mit allen Sinnen Nacht und Tag, Pflanze und Landschaft, Wiese und Wasser aufgesogen hat, um sie in seinen künstlerischen Schöpfungen neu zu entfalten.
Diehl nennt die Technik, der er sich mit Unterbrechungen seit 1996 widmet, manuelle Druckgrafik. Der gängigen Vorstellung von Grafik entsprechen die Resultate seiner Arbeit nicht. Viel näher sind sie der Malerei. Wolfram Diehl geht schrittweise vor. Er bearbeitet Holzplatten mit verschiedenen Mitteln: durch Schneiden und Ritzen, aber auch mit unterschiedlichen Materialien, die er mittels Leim oder durch ein Gaze-Geflecht an die Platten heftet. Die Auswahl dieser Materialien hält der Künstler begrenzt. „Es ist gut, sich beim Vorrat an Gestaltungsmitteln zu beschränken“, sagt der 74-Jährige. „Sonst gibt es ein Durcheinander, keine klare Linie.“
Die klare Linie ist bei Diehl erkennbar; durch konsequentes Forschen, Variieren und Experimentieren mit einer Methode hat er seine ganz eigene bildliche Sprache entwickelt. Das Schöne daran: Das Verstehen dieser Sprache geht nicht über den Kopf, sondern über Augen und Gefühl. Neugierde ist hier mehr gefragt als Interpretation. Die Bilder sprechen direkt zum Betrachter, Übersetzung ist nicht nötig.
Meist gestaltet Wolfram Diehl für einen Druck drei Platten für je eine Farbe. Die Konsistenz der Ölfarben, mit denen er die Platten färbt, ist wichtig; Diehl variiert sie mithilfe von Pigmenten. Wenn er zu arbeiten beginnt, hat er noch kein klares Ziel vor Augen. „Das entsteht während der Tätigkeit.“Er bewege sich bei der Arbeit auf einem Experimentierfeld, sagt er – „aber gezielt“.
Kleinstauflagen oder als Unikat
Diehls Drucke, die in Kleinstauflagen von zwei bis drei Exemplaren oder auch als Unikat entstehen, wirken plastisch. Man möchte – nah vor ihnen stehend – die flauschige Oberfläche anfassen, den Linien von Fasern folgen, Strukturen und Geflechte ertasten. Die scheinbare Haptik entsteht sowohl durch die bei der Platten-Vorbereitung verwendeten Materialien als auch durch die besondere Art von Farbauftrag und Druck: Punkte, Flächen verdichten sich und lösen sich wieder voneinander, bilden so changierende, bewegte Formen.
Mit etwas mehr Abstand und wechselnden Blickwinkeln tun sich weitere Dimensionen auf. Wellen, Tiefen, ein Kräuseln, eine Eruption. Bilderreihen mit dem Titel „Öffnung/Spalt“geben Kraftquellen preis. In vielen Bildern Diehls scheinen Gegenstände oder Lebewesen zu schweben. Beinahe glaubt man sie zu identifizieren – und kann ihr Geheimnis doch nicht lüften. Welch bezaubernde Welten.
Der ehemalige Kunstlehrer verhilft den Farben zu großer Ausdrucksvielfalt. Mit fein austarierter Dichte, sensibel gewählter Kombination und erfahrungssicherer Verteilung entlockt er ihr strahlende Klänge. Es ist ein eingestreutes Schwarz, das bei einer Arbeit mit dem Titel „Im Winter“dem kalten Grundton Blau zu klirrender Kälte verhilft.
Ergänzend zu den Bildern hat Diehl einzelne Objekte platziert. Die Werkstoffe: Ellhofer Sandstein und in der Natur Gefundenes. Der Zugang zu Diehls Kunst ist für Neugierige leicht, und das Nachspüren macht Freude. Denn die Werke bringen eigene Erfahrungen zum Klingen: „Anfang März“etwa erzählt davon, wie sich die vom Winter zerzauste Natur sortiert und auf das große, unaufhaltsame Wachsen vorbereitet. Versunken in die Arbeiten „Im Sommer, bewegt“glaubt man Wind zu hören, Wellen zu sehen, Gras zu riechen und das Flirren stehender Hitze spüren.