Vier Tote bei Unwettern im Südwesten
Heftige Regenfälle verursachen Überschwemmungen und verwüsten ganze Dörfer
STUTTGART/BRAUNSBACH - Bei heftigen Unwettern in Süddeutschland sind in der Nacht zum Montag vier Menschen ums Leben gekommen. Besonders heftig trafen Gewitter und starker Regen den Norden und Osten Baden-Württembergs sowie Teile Frankens und Niederbayerns. Tausende Rettungskräfte waren in der Nacht und den ganzen Montag im Einsatz, um die Folgen der Überschwemmungen und Erdrutsche in den Griff zu bekommen.
In Schwäbisch Gmünd kamen ein 21-Jähriger sowie ein 38-Jähriger Feuerwehrmann ums Leben. Der Retter hatte versucht, den jungen Mann zu bergen. Wassermassen rissen beide mit in eine Unterführung, von dort wurden die Männer offenbar in die Kanalisation gesogen. Ihre Leichen konnten erst am Montag geborgen werden. In Schorndorf (Rems-MurrKreis) erfasste ein Zug ein 13-jähriges Mädchen, das unter einer Brücke Schutz vor dem Regen gesucht hatte. Im Kreis Hohenlohe ertrank ein 62-Jähriger in einem Keller.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zeigte sich erschüttert: „Ich bedauere die tragischen Todesfälle zutiefst und spreche den Angehörigen der Opfer unser tiefes Mitgefühl aus.“Er werde die betroffenen Gemeinden in den kommenden Tagen besuchen.
Besonders schwer verwüstete die Unwetterfront „Elvira“den Ort Braunsdorf im Landkreis Schwäbisch Hall. Gegen 20 Uhr am Sonntagabend trugen zwei stark angeschwollene Bäche eine Schlammlawine durch den Ort an der Kocher. Bis zu drei Meter hoch stiegen die Fluten im Ortskern, zahlreiche Häuser wurden beschädigt. Helfer erreichten das Dorf erst eine Stunde nach den ersten Meldungen, weil alle Zufahrtswege überflutet waren. Auch im Ostalbkreis, Biberach und in Ulm wüteten Gewitter, Keller liefen voll, Straßen waren unpassierbar. Im Bahnverkehr kam es im Südwesten zu erheblichen Behinderungen.
Allein in Aalen mussten Helfer seit Sonntagnachmittag rund 130-mal ausrücken. In Baden-Württemberg mussten nach Angaben des Innenministeriums 42 Menschen aus lebensgefährlichen Situationen geborgen werden. Insgesamt brachten Helfer über 500 Personen in Sicherheit.
In Baden-Württemberg waren seit Sonntagnachmittag rund 7000 haupt- und ehrenamtliche Helfer im Einsatz, sie rückten zu mehr als 2200 Einsätzen aus.
Versicherer rechnen mit Schäden in zweistelliger Millionenhöhe. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte in Stuttgart, das Land prüfe Soforthilfe-Programme, wo diese „angebracht und notwendig“seien.
BRAUNSBACH - Als das Wasser kam, saß Braunsbachs Bürgermeister Frank Harsch in seinem Büro im zweiten Stock des Rathauses. Für das, was dann geschah, hat das Oberhaupt der 900-Seelen-Gemeinde im Landkreis Schwäbisch Hall auch 14 Stunden später noch nicht viele Worte gefunden. „Wahnsinn, einfach Wahnsinn“, sagt er am Montagvormittag. „Wir haben eine Tragödie unbeschreiblichen Ausmaßes erlebt.“Gegen 20 Uhr am Sonntagabend hatte sich eine 300 Meter lange und mehrere Meter hohe Lawine aus Schlamm, Geröll und Holz durch den Ort geschoben.
Ausgelöst von den heftigsten Regenfällen seit Jahrzehnten traten zwei Bäche, die den Ort durchqueren, über die Ufer. Eigentlich nur schmale Rinnsale, verwandelten sich der Orlacher Bach und der Grimmbach in mächtige Ströme. Videos im Internet zeigen, wie drei Meter hohe Fluten den kompletten, rund 50 Meter breiten Marktplatz überspülten. „Hier ist in einigen Stunden so viel Regen gefallen wie sonst in mehreren Monaten,“sagt Michael Knaus, stellvertretender Landrat. An der wenige Kilometer entfernten Messstelle in Kirchberg an der Jagst gingen innerhalb von sechs Stunden 87 Liter Regen pro Quadratmeter nieder.
Flutwelle drei Meter hoch
„Das sind Naturgewalten, das ging in Sekunden“, beschreibt Bürgermeister Harsch, was er aus seinem Büro beobachtete. Schlamm und Geröll rasten durch die Straßen, schoben sich in Schaufenster, drückten heruntergelassene Jalousien ein. Bis zu drei Meter hoch war die Flutwelle, die einige Hundert Meter oberhalb des Rathauses über den Marktplatz floss. Eine Stunde dauerte es, bis die ersten Helfer den Ort erreichten. Viele Zufahrtsstraßen waren blockiert. Rettungsfahrzeuge mussten an einer meterhohen Barriere aus angeschwemmten Baumstämmen und Ästen wenden.
Am Unglücksort eingetroffen, kämpften sich die Helfer zunächst zu den eingeschlossenen Einwohnern vor. Rund 120 Braunsbacher wurden evakuiert, viele Gebäude sind einsturzgefährdet. Die ganze Nacht lang waren die 150 meist ehrenamtlichen Einsatzkräfte mit zum Teil schwerem Gerät im Ort unterwegs. Zwischenzeitlich staute sich hinter Geröll und Schwemmholz so viel Wasser, dass die Retter eine weitere Flutwelle fürchteten. Dazu kam es nicht. Ebenso wenig bestätigten sich bis zum späten Montagabend Befürchtungen, in weggespülten Autos oder eingestürzten Gebäuden könnte es Tote gegeben haben. „Uns liegen keine Vermisstenmeldungen vor“, so Michael Knaus.
Keine Toten – das ist hier die gute Nachricht an einem Tag der schlechten Botschaften. Anders in Schwäbisch Gmünd: Dort stirbt am Sonntagabend ein Feuerwehrmann, zusammen mit einem 21-Jährigen, den er aus den Fluten retten will. Die Wassermassen ziehen beide in die Kanalisation, die Leichen können erst am Montag geborgen werden. In Weißbach im Hohenlohekreis ertrinkt ein 62-Jähriger in einem Keller, in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) erfasst ein Zug eine 13-Jährige, die sich vor dem Regen unter eine Brücke geflüchtet hatte.
Wann die evakuierten Menschen aus Braunsbach in ihre Wohnungen zurückkehren können, war am Montag noch unklar. Etwa 70 hielten sich auch am Montagnachmittag in der Notunterkunft auf, die der Landkreis in einer Veranstaltungshalle im Nachbarort Ilshofen eingerichtet hatte. Auch die Höhe des entstandenen Schadens war am Montag noch nicht absehbar. „Es ist aber schon jetzt sicher, dass weder der Landkreis noch die Gemeinde das aus eigener Kraft tragen können“, so der stellvertretende Landrat Knaus.
Verhängnisvoll gelegen
Tatsächlich dürften die Schäden verheerend sein. Dem idyllisch im Kochertal gelegenen Dorf wurde ebendiese Lage zum Verhängnis. „Die Hohenloher Landschaft überrascht mit beeindruckenden Höhenunterschieden“, wirbt eine Info-Tafel, die am Marktplatz aus dem Schlamm ragt. Das steile Tal und die oben gelegene Ebene, auf der sich das Regenwasser sammelt, um dann zu den Flüssen hinab zu schießen: Diese Kombination führte wohl zu dem Unglück. Der Orlacher Bach, der den Marktplatz und den Rest des Ortes eigentlich unterirdisch durchfließt, schwoll so stark an, dass er Bäume, Geröll und Schlamm mit sich riss. Der Bach brach aus seinem Bett aus und zog eine Schneise durch den Ort. „Ich konnte aus dem Fenster sehen, wie unten die Autos beim Nachbarn in die Hauswand einschlugen“, berichtet Armin Damm. Er betreibt in seinem Haus im Zentrum Braunsbachs ein EDV-Geschäft. Die Möbel, die Computer, die Server mit Kundendaten – alles weggespült oder vom Schlamm begraben. Ein Büro will Damm bei einem Freund provisorisch einrichten. „Aber wenn das Haus nicht mehr zu retten wäre, dann weiß ich nicht, was ich machen soll“, meint der 47-Jährige.
Mindestens zwei Häuser stürzten komplett ein, weitere sind sehr stark beschädigt. Entwurzelte Bäume haben Hausfassaden eingedrückt, in der Turnhalle steht der Schlamm knöcheltief. Wo einst Fensterfronten Licht in Wohnzimmer ließen, stapelt sich Geröll bis unter die Decke. In einer Waschküche hängen T-Shirts und Hosen auf der Leine, am Abend frisch gewaschen, am Morgen hat das Hochwasser seine Marken an den Knien der Jeans zurückgelassen. Nebenan steht ein Kellerfenster offen, braune Brühe schwappt bis zu dessen unterem Rahmen.
Unwetterfront hat sich gedreht
Zu den Unglücksursachen fallen am Montag vor allem Worte wie „Naturgewalt“, „sekundenschnell“und „punktuelles Ereignis“. Sprich: Für solche extremen Wetterereignisse könne man sich nicht rüsten. „Wir werden analysieren, ob die Regenauffangbecken in der Region gehalten haben – in anderen Teilen des Landkreises haben sie funktioniert“, so der stellvertretende Landrat Knaus. Es gab eine Unwetterwarnung, allerdings hatte die Einsatzzentrale gegen 19 Uhr bereits mit Entspannung gerechnet. Dann drehte das Regen- und Gewittergebiet aber noch einmal, zog erneut über Teile des Landkreises Schwäbisch Hall. Meteorologen tun sich in der Tat trotz moderner Technik schwer, Stärke und Ort von Gewittern vorherzusagen. Unwetterzellen bilden sich oft rasch und lokal, welche Windverhältnisse dann zwischen Tief- und Hochdruck entstehen, wohin die Zellen treiben, wann sie sich entladen, ist kaum vorherzusehen.
Inmitten des Lärms der Lastwagen und Bagger steht Bürgermeister Harsch und blickt auf das gähnende Loch, das einst die Mitte seines Marktplatzes war. „Wir wollen jetzt einfach erst einmal die nächsten Tage überstehen“, sagt er.