Frankreichs Sorgen vor der Heim-EM
Verletzte Verteidiger und ein ausgebooteter Star belasten Frankreichs Titel-Mission
RAVENSBURG (sz) - Nächste Woche beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich – am Freitag mit dem Auftaktspiel der Gastgeber im Stade de France in St. Denis vor den Toren von Paris gegen Rumänien.
Mit der heutigen Ausgabe beginnt die „Schwäbische Zeitung“ihre große Vorberichterstattung zum Turnier – mit der Vorstellung der Vorrundengruppe A: Frankreich mit all seinen Problemen auf dem Weg zum erhofften Titel, die Unruhe bei den Schweizern, der italienische Trainer der Albaner. Und Rumäniens Hoffnungsträger ist ausgerechnet der mit dem VfB Stuttgart aus der Bundesliga abgestiegene Mittelfeldspieler Alexandru Maxim.
PARIS (dpa/jos) - Der Mann weiß, wovon er spricht. Didier Deschamps spürt den Druck, der auf ihm lastet, seit Monaten. Vor ein paar Wochen hat Frankreichs Nationaltrainer dann mit klaren Worten ausgesprochen, was zuvor alle nur hinter vorgehaltener Hand gesagt haben: „Es wird ein gelungenes Turnier sein, wenn wir es gewinnen. Sollten wir vorher ausscheiden, sind wir gescheitert.“So einfach und doch so schwierig ist es, Coach der Équipe Tricolore bei der Heim-EM zu sein. Zu allem Überfluss muss sich der 47Jährige auch noch mit den wiederkehrenden Fragen nach dem ausgebooteten Topstar Karim Benzema herumschlagen. Auch die Ausfälle mehrerer Leistungsträger lassen aus dem Heimspiel eines mit Hindernissen werden.
Kanté und Coman machen Mut
Doch allzu trübsinnig ist die Lage dann auch wieder nicht. Schließlich gibt es auch Hoffnungsträger beim Gastgeber, Bayern Münchens Kingsley Coman etwa. Oder N’Golo Kanté, ebenfalls Mittelfeldspieler, der mit der Nominierung für seine Leistungen beim englischen Sensationsmeister Leicester City belohnt wurde. Beide gehören zu den Auserwählten für die französische EM-Mission im eigenen Land. Der 19 Jahre alte Offensivspieler vom deutschen Rekordmeister steht nach nur drei Länderspielen im Kader. Die Benennung der Erwählten wurde sogar live im französischen Fernsehen übertragen. „Einen Kader zu benennen heißt nicht, einfach die Besten zu nehmen, sondern eine Gruppe auszuwählen, die möglichst weit kommt“, erklärte Deschamps – und fügte hinzu: „Die Entscheidung gegen Benzema wurde im Interesse des Kollektivs getroffen.“Und selbstverständlich in Abstimmung mit dem Präsidenten des Französischen Fußball-Verbandes (FFF), Noël Le Graët.
Nach 1984 bei der EM und 1998 bei der WM – mit Deschamps als Kapitän – soll die Auswahl der Grande Nation erneut den Heimvorteil nutzen und den ersten Titel seit 2000, als man zuletzt Europameister wurde, holen – auch ohne den derzeit erfolgreichsten aktiven französischen Spieler. Die Entscheidung gegen den 28-Jährigen von Champions-League-Sieger Real Madrid war bereits vor Wochen gefallen. Ebenso wurde das Opfer der unseligen Sextape-Erpressungsaffäre, Mathieu Valbuena, nicht von Deschamps berücksichtigt. Beide hatten schon in den zurückliegenden Länderspielen keine Rolle mehr gespielt. Zu aufsehenerregend war der Skandal, wegen dem die französische Justiz seit November unter anderem auch gegen Benzema ermittelt. Der Mann aus Lyon wird beschuldigt, im vergangenen Jahr bei der Erpressung Valbuenas als Komplize agiert und für die Erpresser vermittelt zu haben. Olympique-Lyon-Profi Valbuena (31) sollte im vergangenen Juni 150 000 Euro zahlen, damit ein Sex-Video nicht veröffentlicht wird. Benzema wird der Komplizenschaft mit den Haupttätern beschuldigt. Ihm drohen mindestens fünf Jahre Haft.
Außerdem lastet auf dem EM-Eröffnungsspiel gegen Rumänien am 10. Juni im Stade de France der Schatten der Terroranschläge vom 13. November 2015. Vor dem Stadion in St. Denis war es beim Spiel gegen Weltmeister Deutschland zu den schrecklichen Bombenattentaten gekommen. Am 10. Juli wird dort auch das Finale stattfinden – mit dem Gastgeber?
Angeführt wird der Kader für die Europameisterschaft von den beiden Stürmerstars Antoine Griezmann, der allerdings mit der Hypothek des mit Atlético Madrid verlorenen Königsklassenfinales samt verschossenem Elfmeter anreist, sowie Paul Pogba von Juventus Turin. Sorgen bereitet jedoch die Defensive: Eigentlich sollten vor dem erfahrenen Stammtorwart Hugo Lloris vom englischen Überraschungsteam Tottenham Hotspur die Stars Raphaël Varane von Real Madrid und Jérémy Mathieu vom FC Barcelona verteidigen, außen war Mathieu Debuchy von Girondins Bordeaux eingeplant. Doch alle drei Stars fallen für die Titelkämpfe aus. Nun werden es die Alten richten müssen: Patrice Evra von Juventus Turin oder auch Laurent Koscielny vom FC Arsenal.
Die beiden waren auch am Montagabend beim 3:2 (2:1) gegen Kamerun in Nantes mit von der Partie. Die Afrikaner konnten die Führung der Franzosen durch Blaise Matuidi (20.) und Olivier Giroud (41.) zweimal ausgleichen. Zuerst traf Vincent Aboubakar (22.) zum 1:1, dann Schalkes Eric Maxim Choupo-Moting (88.) zum 2:2. Den letzten Trumpf aber spielte Frankreich: In der Nachspielzeit traf Dimitri Payet mit einem Freistoß in den Winkel.