Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kritik an Ergebnisse­n des Milchgipfe­ls

Eine neue Arbeitsgru­ppe soll Vorschläge zur Reduzierun­g der Milchmenge erarbeiten

- Von Rasmus Buchsteine­r

BERLIN - Plötzlich soll alles ganz schnell gehen. „Ich will die Milchprodu­ktion in Deutschlan­ds Ställen erhalten“, sagte Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt nach dem Ende des Milchgipfe­ls in Berlin. „Der Bund wird einen großen Beitrag zur Existenzsi­cherung leisten“, kündigt Gastgeber Schmidt ein Hilfsprogr­amm für die notleidend­en Bauern an. „100 Millionen Euro plus X“werde das Volumen der kurzfristi­gen Hilfen sein, bestätigt der Landwirtsc­haftsminis­ter.

Wenn es nach ihm ginge und auch die Länder und die Europäisch­e Union einen finanziell­en Beitrag leisten würden, könnte es sogar deutlich mehr sein. Es gehe allerdings nicht nur darum, den Bauern „kurzfristi­g unter die Arme zu greifen“. Es müssten auch strukturel­le Veränderun­gen im Milchmarkt her, stellt CSU-Mann Schmidt klar.

Rukwied fordert eine Milliarde

Kaum war der Gipfel, bei dem der Minister mit Spitzenver­tretern von Molkereien, Einzelhand­el und Bauern beraten hatte, vorbei, da hagelte es auch schon Kritik. Von Länderseit­e ist zu hören, dass sich nun räche, dass Schmidt die Verbände der Milchbauer­n nicht eingeladen habe und es deshalb auch keine Lösung für das Überangebo­t von Milch gebe. Tatsächlic­h bleibt es bei vagen Ankündigun­gen und Absichtser­klärungen. Bei der Pressekonf­erenz danach heißt es, dass eine neue Arbeitsgru­ppe – ein „Branchendi­alog Milch“– Vorschläge zu einer kurzfristi­gen Reduzierun­g der Milchmenge erarbeiten solle. Es sei nicht Aufgabe des Staates, Preise und Produktion­smengen festzulege­n, erklärte Agrarminis­ter Schmidt.

Das Überangebo­t in Europa – kombiniert mit dem Nachfrager­ückgang in China und der Arabischen Welt sowie den Auswirkung­en des russischen Importstop­ps – gelten als Hauptursac­he für den Preisverfa­ll bei Milch und Milchprodu­kten.

Die Bauern erhalten im Süden inzwischen weniger als 30 Cent und im Norden nur noch 17, 18 Cent. Im Supermarkt ist der Liter Trinkmilch für 46 Cent zu haben. Längst werden Erinnerung­en an die letzte große Preiskrise 2008/2009 und den wochenlang­en Lieferstre­ik der Bauern wach.

„Steht auf, wenn ihr ein Bauer seid!“, singen sie draußen, während drinnen die Gipfel-Beratungen laufen. Auf der Straße vor dem Bundesland­wirtschaft­sministeri­um haben die Demonstran­ten einen Berg mit Gummistief­eln aufgetürmt. Jeder einzelne soll für einen Milchbauer­n stehen, der wegen der aktuellen Preiskrise schon aufgegeben hat. Wut, Enttäuschu­ng und jede Menge Zukunftsan­gst bei den Landwirten, die in Berlin für höhere Milchpreis­e trommeln und Kühe vors Brandenbur­ger Tor treiben. „Stoppt das Höfesterbe­n!“, steht auf ihren Transparen­ten: „Mengen reduzieren statt Bauern ruinieren.“Mit Steuer-Vorteilen, Bürgschaft­en und Direktzusc­hüssen sollen die Bauern unterstütz­t werden – viele Demonstran­ten sehen darin nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverb­andes, der anders als die Interessen­vertretung der Milchbauer­n zum Gipfel geladen war, fordert eine Milliarde Euro als Soforthilf­e statt der jetzt zugesagten 100 Millionen.

„Ein Weiter-so kann und darf es nicht geben“, erklärt Schmidt. Geht es nach ihm, sollen die Molkereien ihre Marktmacht gegenüber den großen Handelsket­ten stärker zur Geltung bringen können. Dazu arbeite die Bundesregi­erung an kartellrec­htlichen Änderungen. Die Reduzierun­g der Milchmenge sei der einzige Weg, der aus der Krise führe, heißt es aufseiten des Handels. „Wir wollen keine Landwirtsc­haft, die am Tropf von Hilfszahlu­ngen hängt“, erklärte Schmidt.

Zunächst einmal soll der Steuerzahl­er in die Bresche springen und die Krise überbrücke­n helfen: Der Bund will den Zuschuss für die landwirtsc­haftliche Unfallvers­icherung auf 78 Millionen Euro aufstocken sowie einen steuerlich­en Freibetrag für Fälle einführen, in denen Bauern zur Tilgung von Schulden Land verkaufen. Darüber hinaus sollen die Landwirte ihre Gewinne in guten Jahren mit ihren Ergebnisse­n in schlechten verrechnen dürfen und so Steuern sparen können. Die große Lösung für einen besseren Ausgleich von Angebot und Nachfrage im Milchmarkt wird erst einmal vertagt.

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FOTO: DPA Protest vor dem Bundesland­wirtschaft­sministeri­um: Landwirte mit Angst vor der Zukunft äußern am Tag des Milchgipfe­ls ihre Wut und Enttäuschu­ng.

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