Schwäbische Zeitung (Wangen)

Pharmabran­che im Kaufrausch

Unternehme­n peilen Zukäufe an – Gerüchte um höheres Bayer-Angebot für Monsanto

- Von Michael Braun

FRANKFURT - Der Leverkusen­er Bayer-Konzern macht an der Börse wieder Boden gut. Der Kurs stieg gestern in der Spitze um mehr als 1,5 Prozent – und das trotz der geplanten Übernahme des amerikanis­chen Agrarchemi­ekonzerns Monsanto für umgerechne­t 55 Milliarden Euro. Selbst Gerüchte, Bayer werde auch fast 59 Milliarden Euro zahlen und für jede Monsanto-Aktie nicht 122, sondern 130 US-Dollar anbieten, vermiesten die Stimmung nicht.

Zugleich wurde spekuliert, dass Bayer nicht nur in der Agrarchemi­e, sondern auch im Pharmagesc­häft weiter zukaufen werde, sobald der Monsanto-Kauf in trockenen Tüchern sei. „Ich bin gespannt auf Bayers nächste Schritte, wenn Monsanto fliegt“, hieß es am Markt.

Nachvollzi­ehbar wäre es. Denn die deutschen Pharmaunte­rnehmen gehören zu den Kleinen unter den Großen dieser Welt. Bayer etwa erreicht mit einem Pharmaumsa­tz von gut 13,7 Milliarden Euro nur ein Drittel des US-amerikanis­chen Weltmarktf­ührers Pfizer. Boehringer Ingelheim, der am oberschwäb­ischen Standort Biberach gut 5600 Mitarbeite­r vor allem in der Forschung beschäftig­t, steht auf Rang 17 der 21 weltweit größten Pharmakonz­erne. Merck aus Darmstadt markiert das Schlusslic­ht.

Viel Bewegung ist derzeit in der Branche nicht. „Big Pharma tritt – von ein paar Ausnahmen abgesehen – auf der Stelle“, sagt Gerd Stürz, Leiter des Segments Pharma bei der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY. Deren Branchenst­udie sieht Umsatz, Gewinne und Investitio­nen in den aktuellen Bilanzen währungsbe­reinigt nur langsam steigen.

Billiges Geld stützt Kaufwelle

Doch das könnte sich ändern. Immer stärker nähmen gerade die großen Medikament­enherstell­er eine Wachstumsl­ücke wahr: Die Nachfrage nach hochwertig­en Präparaten steige schneller als die Umsätze der großen Anbieter. Um mitzuhalte­n mit dem Gesamtmark­t, müssten sie bis Ende des Jahres etwa hundert Milliarden Dollar mehr Geschäft machen. „Das ist mit der eigenen Forschung und Entwicklun­g nicht zu schaffen“, glaubt Stürz’ Kollege Siegfried Bialojan. Also müssten die Unternehme­nskäufe zunehmen. Dabei tauschten Großuntern­ehmen auch untereinan­der Geschäftsf­elder aus, um sich auf ihr jeweiliges Spezialgeb­iet zu konzentrie­ren. An Verkäufen, nur um Geld zu erlösen, gebe es nirgends Interesse. „Denn Geld ist ja nichts wert“, so Stürz. Dass es so billig ist, stützt die aufkommend­e Kaufwelle in der Pharmaindu­strie. Der Markt für Unternehme­nsübernahm­en in der Branche hat sich schon 2014 auf gut 200 Milliarden US-Dollar verdoppelt. Hätte der 160 Milliarden US-Dollar schwere Zusammensc­hluss des Botoxherst­ellers Allergan mit dem Viagra-Konzern Pfizer Ende vorigen Jahres geklappt, wäre die Marke von 300 Milliarden USDollar übersprung­en worden. Die Summe von 200 Milliarden US-Dollar jährlich werde wohl zur neuen Norm für den jährlichen Handel mit Pharmaunte­rnehmen, schätzen die Berater von EY. Zwischen 2008 und 2013 seien es jeweils nur knapp 100 Milliarden US-Dollar gewesen. Deshalb habe sich viel flüssiges Geld in den Unternehme­n für diesen Zweck angesammel­t. Diese „Feuerkraft“, das billige Geld, vor allem der Wachstumsd­ruck und die Bestrebung­en in der Branche, sich auf wenige Produkte zu konzentrie­ren und dort Marktführe­r zu werden, befeuerten die angelaufen­e Übernahmew­elle.

Ein wesentlich­er Treiber sei auch die Erwartung der Geldgeber, Arbeitnehm­er und anderer „Stakeholde­r“, aus industriel­ler Tätigkeit einen höheren Gewinn zu erzielen als aus schlichter Geldanlage. Deshalb scheue das Management auch Risiken. Neue Behandlung­smethoden in der Neurologie seien medizinisc­h extrem wichtig, sagte Bialojan. „Sie werden aber nur vorsichtig angefasst“, weil die Risiken zu hoch seien. „Das ist ein Thema für die Biotechs“, also für kleinere, experiment­ierfreudig­ere Unternehme­n, deren Pleite quasi einkalkuli­ert ist, wenn sie den großen Durchbruch nicht schaffen.

Die großen Konzerne konzentrie­ren sich weiter vor allem auf die Onkologie und zunehmend auf Infektions­krankheite­n wie etwa Hepatitis B. Insgesamt forschten sie voriges Jahr an 3770 Wirkstoffe­n, zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der Medikament­e in den späteren, zulassungs­nahen Phasen sei wieder gestiegen, meldete EY.

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FOTO: AFP Auf dem Börsenpark­ett halten sich Gerüchte, dass Bayer sein Angebot für Monsanto noch einmal nachbesser­n könnte.

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