Schwäbische Zeitung (Wangen)

Carsharing erobert auch kleinere Städte

Carsharing boomt jetzt auch bei Geschäftsr­eisenden und erobert kleinere Städte

- Von Gerhard Bläske

RAVENSBURG (sz) - Carsharing ist für immer mehr Menschen eine Alternativ­e. Nach Angaben des Branchenve­rbandes gab es Ende 2015 bei 150 eigenständ­igen Anbietern etwa 1,26 Millionen Nutzer. Sie teilten sich 16 000 Fahrzeuge. Bis 2021 soll es in Deutschlan­d zwei Millionen Nutzer geben; weltweit wird mit 35 Millionen gerechnet. Auch in kleineren Städten aus der Region wird das Angebot vermehrt angenommen. Drei zusammenge­hörende Vereine sind in zwölf Städten präsent.

RAVENSBURG - In den 1980er-Jahren war Carsharing hauptsächl­ich ein Angebot für Einkommens­schwache, die ab und zu ein Auto brauchten. Vor allem mit dem Markteintr­itt der Daimler-Tochter Car2Go (zusammen mit Europcar) und der BMWTochter DriveNow (mit Sixt) ist dieser Markt seit 2010/2011 regelrecht explodiert. Allein in Deutschlan­d gab es nach Angaben des Branchenve­rbandes CarSharing (bcs) Ende 2015 bei 150 eigenständ­igen Anbietern etwa 1,26 Millionen Nutzer, die sich knapp 16 000 Fahrzeuge teilten. Damit entfiel auf Deutschlan­d etwa die Hälfte des europäisch­en und ein Sechstel des weltweiten Marktes. Die Management-Beratung Boston Consulting erwartet für die nächsten fünf Jahre einen weiter stark wachsenden Markt: Bis 2021 soll es in Deutschlan­d zwei und weltweit 35 Millionen Nutzer dieser Angebote geben. Das Umsatzvolu­men werde dann bei 4,7 Milliarden Euro liegen.

In zwölf Städten 48 Autos

Zwar liegt der Schwerpunk­t in Großstädte­n wie Berlin, München oder Stuttgart. Doch Anbieter finden sich auch in kleineren Orten wie Friedrichs­hafen, Biberach, Ravensburg und Heidenheim, ja sogar in Lindau, Kressbronn, Isny oder Wangen. Bereits 1995 startete das erste Carsharing-Angebot in Ravensburg. Heute verfügen die zusammenge­hörenden Vereine BodenseeMo­bil, OberSchwab­enMobil und WestAllgae­uMobil in zwölf Städten über insgesamt 48 Autos aller Größen. Eine gewisse Grundausla­stung sichert die Kooperatio­n mit dem Bahn-Carsharer Flinkster, dessen elektronis­ches Buchungssy­stem die in Form eines Vereins geführte Initiative nutzt. Eine Reservieru­ng ist somit auch kurzfristi­g über Internet oder die App von Flinkster möglich. „Wir sind in Deutschlan­d im Ländlichen Raum der größte Anbieter“, sagt Wielant Ratz, Vorstandsv­orsitzende­r der drei Vereine. Die Zuwachsrat­en lägen bei jährlich bis zu 30 Prozent. Die Zahl der Mitglieder erreicht mittlerwei­le 500, wobei nur 300 die Angebote regelmäßig nutzten. „Im Großen und Ganzen“trage sich das Carsharing in der Region, so Ratz. In den Städten laufe es ganz gut. Schwierige­r sei es in den Ländlichen Räumen dazwischen.

Insgesamt gibt es Carsharing an 537 Orten in Deutschlan­d, ganz überwiegen­d in größeren Städten. Der Markt teilt sich auf zwischen stationäre­n Anbietern wie Oberschwab­enMobil, deren Fahrzeuge an festen Parkplätze­n stehen, und stationsun­abhängigen Free-float-Angeboten, die spontane Nutzungen möglich machen, ohne dass die Kunden zu einer Anmiet- beziehungs­weise Abgabestat­ion müssen und ohne Autoüberga­be im klassische­n Sinne. Das Buchen ist einfach. Nach der Registrier­ung erfolgt das Buchen per App, über die der Kunde das nächste freie Auto findet, oft ohne Voranmeldu­ng. Abgerechne­t wird in der Regel ein Minutennut­zungspreis. Immer häufiger nutzen auch Firmenkund­en das Carsharing: für Fahrten zum Flughafen, bei Terminen in anderen Städten oder in Gewerbegeb­ieten am Stadtrand. Kleinere Firmen können so oft ganz oder teilweise auf ihren Fuhrpark verzichten und damit ihre Fixkosten reduzieren. Nach Angaben von Car2Go nutzen 37 Prozent der Dax-Unternehme­n Car2Go. Auch DriveNow, Cambio und die drei Anbieter in dieser Region sind, etwa mit der Sparkasse Bodensee, stark in diesem Segment vertreten. Die Carsharing-Anbieter bieten Unternehme­nskunden Vorreservi­erungen, Blockbuchu­ngen und spezielle Abrechnung­ssysteme. DriveNow gibt den Anteil der geschäftli­chen Kunden mit etwa einem Viertel an. Jede zehnte Fahrt bei Car2Go läuft über einen Unternehme­nsaccount. Doch bcs-Sprecher Gunnar Nehrke bleibt realistisc­h: „Der Dienstwage­n bleibt ein Statussymb­ol. Es sind vor allem jüngere Manager, die auf ein eigenes Fahrzeug verzichten und Mobilitäts­angebote nutzen.“

Kopf-an-Kopf-Rennen mit DriveNow

Car2Go sieht sich mit weltweit 1,9 Millionen Kunden an 30 Standorten und mehr als 14 000 Autos als Weltmarktf­ührer und hat längst in die USA und nach China expandiert. Daimler-Chef Dieter Zetsche peilt bis 2021 eine Umsatzstei­gerung von heute 150 Millionen auf eine Milliarde Euro an. DriveNow liefert sich in Deutschlan­d mit 500 000 Nutzern (eigene Angaben) hierzuland­e ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Car2Go, kommt weltweit auf 600 000 Kunden an zehn Standorten und will nun stärker internatio­nal expandiere­n. Vor allem in China gewinnt das Konzept aus Umweltgrün­den an Bedeutung. Überrascht war Car2Go über den Erfolg in Mailand und Rom: Wegen der Parkplatzn­ot wird das Angebot dort besonders intensiv wahrgenomm­en.

Doch Carsharing funktionie­rt nicht überall. „Die Herausford­erung ist das Parken“, heißt es bei Car2Go. Ohne die Bereitstel­lung von kostenlose­n Parkmöglic­hkeiten durch die Kommunen funktionie­rt das Modell nicht. Mangels solcher Vereinbaru­ngen zog sich etwa Car2Go aus Großbritan­nien zurück. DriveNow stellte ein Projekt in San Francisco wieder ein.

Der Markt wächst, es kommen Dienstleis­tungen hinzu und die Angebote verfeinern sich. Während DriveNow schon länger mehrere BMWund Mini-Modelle anbietet, hat sich Car2Go erst vor Kurzem entschloss­en, die Smart-Flotte um Modelle der Daimler-Kompaktkla­sse zu erweitern. Andere hatten schon immer unterschie­dliche Fahrzeuggr­ößen verschiede­ner Anbieter im Sortiment. Der Daimler-Konzern bietet darüber hinaus weitere Dienstleis­tungen an und will etwa die App der Tochter Moovel als „Amazon der Mobilität“etablieren. Nutzern werden darauf, unabhängig von Konzernang­eboten, die schnellste­n, kostengüns­tigsten oder ökologisch­sten Lösungen angezeigt, um von A nach B zu kommen, wobei sie auf den öffentlich­en Nahverkehr, Autos, Züge, Fahrräder oder Taxi-Dienste zurückgrei­fen können. Moovel verdient an Provisione­n und hat bereits mit einigen Nahverkehr­sbetrieben Verträge abgeschlos­sen. So lassen sich deren Tram-Tickets etwa per Moovel-App buchen.

Neben Autovermie­tern wie Avis oder Hertz und Vereinen tummeln sich in dem Markt auch traditione­lle Anbieter wie Stadtmobil und Cambio. Auch weitere Autoherste­ller sind in das Geschäft eingestieg­en: Citroen betreibt etwa mit Multicity einen Free-floating-Service mit Elektroaut­os in Berlin, Opel baut CarUnity auf, Ford, zusammen mit der Händlerorg­anisation, Ford Car Sharing. VW will wohl mit dem Fahrdienst Gett einen neuen Anlauf wagen.

Zwar ist DriveNow nach eigenen Angaben in Deutschlan­d rentabel und Car2Go „an einzelnen Standorten“. Doch ein großes Geschäft ist das noch nicht. Immerhin: Autoherste­ller schaffen so zumindest eine Bindung an junge Menschen, die häufig (noch) gar kein Auto wollen, sich vielleicht aber später mal eines anschaffen. Außerdem können sie ihre Elektroaut­oflotten erproben: Bei DriveNow werden 20 Prozent der Fahrzeuge elektrisch angetriebe­n, bei Car2Go ist es knapp ein Zehntel der 14 000 Autos.

Für den künftigen Erfolg entscheide­nd ist aus Sicht der großen Anbieter eine verbindlic­he Rechtsgrun­dlage für Kommunen, die regelt, wie diese den Carsharing-Gesellscha­ften eine ausreichen­de Anzahl kostenlose­r Parkfläche­n zusichern können. Ein Entwurf für ein Carsharing-Gesetz von Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) befindet sich in der Ressortabs­timmung. Ob das Gesetz noch in dieser Legislatur­periode kommt, ist fraglich.

Vermutunge­n, die Hersteller könnten sich mit ihren Angeboten selbst das Wasser abgraben, sind wohl unberechti­gt. Nach der BostonCons­ulting-Studie verzichten bis 2021 nur 278 000 potenziell­e Neuwagenkä­ufer in Europa wegen Carsharing auf die Anschaffun­g eines eigenen Autos.

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FOTO: DPA Car2Go sieht sich mit weltweit 1,9 Millionen Kunden an 30 Standorten und mehr als 14 000 Autos als Weltmarktf­ührer.
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FOTO: ARCHIV Die Zuwachsrat­en in der Region betragen jährlich bis zu 30 Prozent, sagt Wielant Ratz.

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