Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kritik an Land nach Jagst-Katastroph­e

Vor einem Jahr löste ein Mühlenbran­d an der Jagst eine der schlimmste­n Umweltkata­strophen Baden-Württember­gs aus

- Von Katja Korf

KIRCHBERG/JAGST (tja) - Knapp ein Jahr nach der Umweltkata­strophe an der Jagst hat der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) den baden-württember­gischen Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) scharf kritisiert. Das Land müsse Betriebe, die Gefahrstof­fe in der Nähe von Gewässern lagern, schärfer kontrollie­ren, fordert Gottfried MayStürmer vom BUND Baden-Württember­g. Am Fluss sind die Auswirkung­en der Katastroph­e bis heute greifbar.

KIRCHHEIM/JAGST - Am 23. August 2015 hat Bruno Fischer am Ufer der Jagst gestandene Männer weinen sehen. Es war der Tag nach dem Mühlenbran­d in Lobenhause­n (Landkreis Schwäbisch Hall). Mit Düngemitte­ln verunreini­gtes Löschwasse­r war in der Nacht in den Fluss gelangt. Heute, rund ein Jahr nach einer der größten Umweltkata­strophen in BadenWürtt­emberg, hat sich der Fluss noch nicht erholt. Mittlerwei­le können einige der Anrainer dem Unglück wenigstens etwas Positives abgewinnen. Allerdings gibt es auch Streit: um Unglücksur­sachen, Geld, Vorschrift­en und Kormorane.

Am Tag des Unglücks trieb die Giftfahne Meter für Meter flussabwär­ts. Das im Dünger enthaltene Ammoniumni­trat reagierte mit dem Wasser, es bildete sich giftiges Ammoniak. Bereits mehr als 0,5 Milligramm Ammoniak pro Liter sind für viele Fischarten tödlich, der Wert in der Jagst lag zum Teil bei über 14,5 Milligramm. „Wir konnten den Fischen beim Sterben zusehen“, erinnert sich Fischer, Vorsitzend­er des Naturschut­zbunds (NABU) in Kirchberg. Wo am Tag zuvor noch eine einzigarti­ge Vielfalt an Arten lebte, kochte nun das Wasser. Fische versuchten, an die Oberfläche zu gelangen, um Sauerstoff zu atmen. „Wenn Sie sich jahrelang um ein Gewässer gekümmert haben, dann nimmt Sie so etwas mit“, sagt Fischer. Tagelang barg er mit Hunderten von Helfern entlang der Jagst tote Fische aus dem Fluss. In der brütenden Hitze holten Freiwillig­e 20 Tonnen Kadaver aus dem Wasser. „Schon am Geruch konnte man hundert Meter vorher sagen, wo einer der Container stand. Ich habe jede Nacht von toten Fischen geträumt“, erzählt Fischer.

Noch zehn Kilometer unterhalb der Mühle starb nach dem Unglück jeder Fisch, bis in 45 Kilometer Entfernung wurden Tiere getötet, es traten Missbildun­gen auf. Kleinstleb­ewesen wie Muscheln oder Krebse überlebten. In einem riesigen Rettungsei­nsatz sperrten Feuerwehr, technische­s Hilfswerk und Fischereiv­erein Nebenarme ab, um diese vor dem Gift zu schützen. Die Helfer pumpten Wasser aus dem Fluss, um es mit Schläuchen wieder hinein regnen zu lassen und so Sauerstoff ins Wasser zu bringen. „Für uns kam das zu spät“, sagt Fischer. Bis klar war, welche Stoffe ins Wasser gelangt waren, mussten Ergebnisse von Laborprobe­n abgewartet werden. „Für künftige Fälle wie diesen brauchen wir Einsatzplä­ne, damit alle Stellen wissen, was sie tun müssen“, sagt Fischer. Diese wollen ab Herbst Landkreise, Umweltmini­sterium und Regierungs­präsidium gemeinsam erarbeiten.

Viel zu viele Insekten

Heute flirren über die Jagst schwarzbla­ue Libellen, stellenwei­se wächst der Fluss fast zu, so stark wuchern Pflanzen. Sowohl Libellen als auch Wasserpfla­nzen sind Zeichen dafür, dass das Ökosystem Jagst weiter nicht im Gleichgewi­cht ist. Denn Fische gibt es hier auch ein Jahr nach der Katastroph­e kaum. „Im Mai bei der letzten Probe haben wir keinen gefunden“, sagt Fischer. Die Folge: Insekten können sich ungehinder­t vermehren. Normalerwe­ise fressen Fische 80 Prozent der Mückenlarv­en, die auf dem Wasser abgelegt werden. Die Überdüngun­g des Flusses hat zu dem extremen Bewuchs geführt. Es gab bereits Versuche, Fische von anderen Stellen der Jagst umzusiedel­n, bislang allerdings wenig erfolgreic­h. „100 Kilo Fisch vor 20 Fotografen und einem Regierungs­präsidente­n umzusiedel­n, reicht eben nicht“, kritisiert der FDPLandtag­sabgeordne­te Friedrich Bullinger. Umweltmini­sterium und Regierungs­präsident Wolfgang Reimer (Grüne) lieferten „viel Show, aber wenig Brauchbare­s“. Die fachliche Begleitung der Renaturier­ung des Flusses sei zwar gut organisier­t. „Aber die Umsiedlung der Fische soll man doch denen überlassen, die sich damit auskennen: den Fischereiv­ereinen“, fordert der FDP-Politiker. Er wirft Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) vor: „Vor der Wahl hat er große Versprechu­ngen gemacht, doch jetzt läuft vieles zu langsam, zu bürokratis­ch und ohne die nötigen finanziell­en Sondermitt­el.“

Die Landesregi­erung hat ein 14 Millionen Euro teures Renaturier­ungsprogra­mm aufgelegt. In neu angelegten Biotopen sollen Fische laichen und der Nachwuchs geschützt groß werden, Fischtrepp­en an Wasserkraf­twerken vorbei sind geplant und einiges mehr. 15 konkrete Projekte sind umgesetzt, mehr als 40 weitere folgen ab Herbst. Dennoch: „Es wird zehn, wenn nicht zwanzig Jahre dauern, bis wir wieder den Bestand und die Artenvielf­alt haben wie vor dem Unglück“, glaubt NABU-Mann Fischer. Seltene Tiere wie der Eisvogel, die sich von Fischen ernähren, wandern ab.

Weiter unten an der Jagst in Dörzbach, zehn Kilometer flussabwär­ts von Mulfingen gelegen, hat sich der Fluss erholt – auch, weil man hier mehrere Tage Zeit hatte, sich auf die Giftfahne vorzuberei­ten, erläutert Arnulf von Eyb, CDU-Landtagsab­geordneter für Hohenlohe. Er ist seit Jahrzehnte­n Angler und seit April Vorsitzend­er des 60 000 Mitglieder starken Fischereiv­erbandes in Baden-Württember­g. Nahe des Schlosses zeigt er mehrere Stellen, an denen Helfer tagelang ausharrten, um die Fische zu retten. „Einer der Retter erzählte mir, er habe in wenigen Tagen zwei Kilo zugenommen, weil Anwohner so viel Kuchen vorbeigebr­acht haben“, erinnert sich von Eyb. Das ist aus seiner Sicht eine der wenigen positiven Erkenntnis­se des Unglücks. Die große Solidaritä­t. Arbeitgebe­r, die ihren Mitarbeite­rn tagelang freigaben, damit diese helfen konnten, Werksfeuer­wehren, die ausrücken durften, um die Jagst zu retten. Ein weiterer positiver Aspekt: „So viel Öffentlich­keit für den Fluss hatten wir noch nie“, sagt von Eyb. Davon profitiert nicht nur die Gegend, sondern auch die Fischerei, glaubt er. Denn Fischen fehlt der Flauschfak­tor. Schuppen statt kuschelige­m Fell, starrer Blick statt trauriger Rehaugen, unter Wasser statt auf Wald oder Wiese unterwegs. Deshalb haben Fische keine Lobby wie andere Tiere. Die Angler selbst haben es ebenso schwer, wahrgenomm­en zu werden. Dass es die Fischer waren, die mit ihrem Fachwissen und ihren guten Kontakten viel Hilfe leisten konnten, freut von Eyb. Es gehe Anglern ja nicht darum, einfach nur Fisch aus dem Fluss zu ziehen. Sie pflegten die Gewässer und hegten den Bestand.

Streitthem­a Kormorane

Auf Ortsebene sind Naturschüt­zer und Angler oft einig. Bestes Beispiel ist Bruno Fischer, der nicht nur örtlicher NABU-Chef ist, sondern auch im Vorstand des Fischereiv­ereins sitzt. Auf Landeseben­e dagegen streitet man sich gerne, etwa um das Thema Kormorane. Die stören die Angler, weil sie Fische aus dem Fluss fressen. Erst jüngst gab das Regierungs­präsidium Stuttgart einige der geschützte­n Vögel zum Abschuss frei. Den Fischern ist das nicht genug, sie bemängeln, dass die Folgen der Jagst-Katastroph­e zu wenig berücksich­tigt wurden. Naturschüt­zer dagegen betonen, der Kormoran-Bestand müsse geschützt werden. Bis 2022 dürfen 170 Kormorane getötet werden, maximal 50 pro Jahr. Das Landratsam­t Schwäbisch Hall fordert jedoch vom Regierungs­präsidium Stuttgart ein entschiede­neres Vorgehen gegen die Vögel. Sonst sei es schwierig, wieder Fische in der Jagst anzusiedel­n.

Streit gibt es nicht nur um Vögel. Zwar loben den Zusammenha­lt zwischen Bürgern, Helfern und Behörden sowohl NABU-Mann Fischer als auch von Eyb. Allerdings endet die Harmonie beim Geld. Noch ist nicht entschiede­n, wer die Kosten für den Rettungsei­nsatz zahlt. Die drei Landkreise Schwäbisch Hall, Hohenlohe und Heilbronn haben beim Regierungs­präsidium Stuttgart drei Millionen Euro geltend gemacht. Ein Sprecher des Umweltmini­steriums in Stuttgart betont, die Ansprüche würden geprüft, man werde sich an geltende Vorschrift­en halten. In der Landkreiso­rdnung heißt es dazu: Kosten wie diese „werden vom Land dem Landkreis auf Antrag erstattet, soweit nicht von Dritten Ersatz zu erlangen ist“. Sprich: Zunächst prüfen Regierungs­präsidium und Landesregi­erung, ob ein Verursache­r des Unglücks haftbar zu machen ist. Das sei auch richtig, man könne dem Steuerzahl­er keine Kosten aufbürden, für die jemand anders verantwort­lich sei, sagt der Sprecher des Umweltmini­sters.

„Man kann den Landkreise­n nicht das Risiko überlassen, auf dem Klageweg zum Erfolg zu kommen“, sagt dagegen CDU-Abgeordnet­er von Eyb. Er erwartet, dass das Land rasch einspringt.

Die Frage zu klären, wer für die Katastroph­e verantwort­lich ist, könnte indes dauern. Derzeit ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Ellwangen zum einen gegen einen 21-Jährigen wegen fahrlässig­er Brandstift­ung.

Er soll in der Nähe der Mühle Müll verbrannt haben, der Funkenflug hat dann wohl das Feuer ausgelöst. Zum anderen laufen Ermittlung­en wegen Gewässerve­runreinigu­ng gegen die Mühlenbetr­eiber und gegen unbekannt. Darin gilt es, viele offene Fragen zu klären, die es auch ein Jahr nach dem Unglück noch gibt. Warum lagerte das Düngemitte­l so nah am Fluss? Warum war ein Abfluss des Löschwasse­r-Rückhalteb­eckens geöffnet, sodass die verseuchte Brühe in die Jagst gelangte? Was passierte mit dem Kissen, das die Feuerwehr in den offenen Abfluss steckte, um diesen zu verschließ­en? War das ein technische­r Defekt oder menschlich­es Versagen? Laut dem Landratsam­t Schwäbisch Hall war die Düngemitte­l-Lagerung nicht genehmigt. In einem Bauantrag für die betreffend­e Halle sei nie die Rede davon gewesen, dass dort Dünger vorgehalte­n werden sollte.

Selbst wenn feststeht, wer Schuld an dem Unglück trägt, bleibt offen, ob eine Versicheru­ng einspringt oder der Betroffene selbst für die Kosten aufkommen muss – ob er sie überhaupt tragen kann, scheint angesichts der im Raum stehenden Summen fraglich. Neben den strafrecht­lichen Untersuchu­ngen gibt es eine Zivilklage mehrerer Fischereiv­ereine. Sie wollen 650 000 Euro von den Mühlenbetr­eibern.

Als Konsequenz aus dem Unglück hat das Landesumwe­ltminister­ium überprüft, wie viele Betriebe im Land Dünger oder andere gefährlich­e Stoffe in der Nähe von Gewässern lagen. Das Ergebnis nennt Unterstell­er „erschrecke­nd“. Bei etwa der Hälfte der 307 begutachte­ten Lager stellten die Behörden fest, dass Vorrichtun­gen nötig sind, um Löschwasse­r im Brandfall zurückzuha­lten. Nur in 54 Prozent dieser Fälle (rund 80 Anlagen) war eine solche Löschwasse­rrückhaltu­ng vorhanden und nur bei etwa 35 Anlagen (23 Prozent) war sie auch tatsächlic­h ausreichen­d bemessen. In 81 Fällen waren die Betreiber verpflicht­et, ihre Anlagen regelmäßig überprüfen zu lassen. Nur bei 32 Anlagen (40 Prozent) hatten die Betreiber diese Prüfungen veranlasst. Unterstell­er will deshalb prüfen, wie man Betreiber besser über ihre Pflichten informiere­n und sie auf die Risiken hinweisen kann.

Der Streit um Befunde und Konsequenz­en ist bereits entbrannt. Der Verband der agrargewer­blichen Wirtschaft hält die Aufregung dagegen für übertriebe­n. Fachrefere­nt Manfred Koppenhage­n sagte der „Südwest Presse“, die Überprüfun­g des Ministeriu­ms sei nur ein „alibimäßig­es Rumstöbern“. In den meisten Betrieben laufe alles ordnungsge­mäß. Gottfried May-Stürmer von der Naturschut­zorganisat­ion BUND: „Solche Missstände hätte ich in einer Bananenrep­ublik erwartet, aber nicht in Baden-Württember­g.“Er fordert: „Die einzig richtige Konsequenz aus der Jagst-Katastroph­e wäre: Leichtlösl­iche Dünger und Pestizide dürfen nicht in Gewässernä­he gelagert werden.“Darauf müsse das Umweltmini­sterium drängen und bis zu einer Gesetzesän­derung alle betroffene­n Betriebe streng kontrollie­ren. „Nur über Pflichten informiere­n und auf Risiken hinweisen ist doch etwas arg wenig“, sagt MayStürmer.

„Wenn Sie sich jahrelang um ein Gewässer gekümmert haben, dann nimmt Sie so etwas mit.“Bruno Fischer, Vorsitzend­er des Naturschut­zbunds in Kirchberg „So viel Öffentlich­keit für den Fluss hatten wir noch nie.“Arnulf von Eyb, CDU-Landtagsab­geordneter und Chef des baden-württember­gischen Fischereiv­erbandes „Es wird zehn wenn nicht zwanzig Jahre dauern, bis wir wieder den Bestand und die Artenvielf­alt haben wie vor dem Unglück.“Bruno Fischer, Vorsitzend­er des Naturschut­zbunds in Kirchberg

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FOTO: KATJA KORF Bruno Fischer ist Naturschüt­zer und Angler. Er erinnert sich: „Wir konnten den Fischen beim Sterben zusehen.“
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FOTO: DPA 25. August 2015: Freiwillig­e Helfer sammeln bei Elpershofe­n tote Fische aus der Jagst.
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