Schwäbische Zeitung (Wangen)

Digedags statt Micky Maus

Die Helden der DDR-Comics: Abgeschott­et von West-Comics à la Superman sind eigene Produkte entstanden

- Von Andreas Hummel

GERA (dpa) - Offiziell waren Comics in der DDR oft nur gelitten. Doch in der Bevölkerun­g standen die Abenteuer der Digedags, Abrafaxe und der Mäuse Fix und Fax hoch im Kurs. So bedienten sich neben den ComicMagaz­inen „Mosaik“und „Atze“auch andere Zeitschrif­ten immer wieder solcher „Bildgeschi­chten“. Oft ging es darin allerdings ideologisc­h zu mit Sujets rund um die Oktoberrev­olution, dem Kampf der Partisanen oder dem Aufbau des Sozialismu­s. Die vielen Facetten des DDRComics, von dem nur das „Mosaik“überdauert hat, zeigt das Stadtmuseu­m Gera in einer Ausstellun­g.

Einen ersten Schub habe der Comic in der DDR Mitte der 1950er-Jahre erhalten, erläutert der Historiker und Comic-Forscher Michael Scholz. „Unter dem Eindruck der West-Comics entstand damals in der DDR die Idee: Wir müssen etwas Eigenes machen, was wir dem 'WestSchund’ entgegense­tzen können.“Dabei habe man sich in der Tradition von Wilhelm Busch und Heinrich Zille gesehen. Daraufhin starteten damals das „Mosaik“mit den drei Helden Dig, Dag und Digedag von Hannes Hegen sowie die „Atze“, deren Zugpferde die Mäuse Fix und Fax aus der Feder von Jürgen Kieser wurden. Aber auch Jugendzeit­schriften wie die „Frösi“bedienten sich dieses beliebten Mediums.

Nach dem Aufstand in Ungarn 1956 sei die Offenheit vorerst vorbei gewesen – zwar erschienen „Mosaik“ und „Atze“weiter, doch in vielen anderen Magazinen wurde erst einmal auf Comics verzichtet, wie Scholz berichtet. Zudem erhielt das sonst als unpolitisc­h geltende „Mosaik“zeitweise Beilagen, in denen etwa aus dem Pionierleb­en erzählt wurde; in der „Atze“wurde ein Polit-Comic je Ausgabe fest etabliert.

Politische­r Einfluss

Erst ab Ende der 1960er-Jahre wurde der Comic wieder breiter forciert – auch um die Bürger politisch zu beeinfluss­en. So boten etliche Magazine wie die „Neue Berliner Illustrier­te“, die „Für Dich“oder die „Freie Welt“vor allem auf ihren Kinderseit­en regelmäßig längere Serien wie „Der Schatz von Finkenrode“oder „Auf der Knolle ist was los“. „Diese zeichneris­ch und sprachlich modern erzählten Geschichte­n setzen starke Akzente hin zu einer eigenen ComicKultu­r in der DDR“, sagt der Kurator der Geraer Ausstellun­g, Matthias Wagner.

Kaum Sprechblas­en

Sprechblas­en wie in den bekannten westlichen Micky-Maus- oder Asterix-Heften sucht man in den DDR„Bildgeschi­chten“oft vergebens. Die waren laut Scholz verpönt. Ebenso wie amerikanis­che Superhelde­n à la Super-, Bat- oder Spiderman. Dafür konnten die Leser der Pionierzei­tschrift „Frösi“Geschichte­n von „Otto und Alwin“– einem grünen Orang-Utan und einem Pinguin – lesen oder des kleinen Roboters Atomino. Häufig wurden auch Comics vor allem aus Ungarn gedruckt, wie Kurator Wagner weiß. „Darunter finden sich dann auch action-lastigere Stoffe in realistisc­hem Zeichensti­l nach James-BondManier.“

Aushängesc­hild des DDRComics blieb aber über all die Jahre das „Mosaik“, dessen Auflage von mehreren Hunderttau­send Exemplaren nach Expertenei­nschätzung nur durch die Papierrati­onierung begrenzt war. Deren Helden – die Digedags – wurden 1975 nach dem Ausscheide­n von Hannes Hegen von den Abrafaxen abgelöst. „Qualitativ war das Mosaik vielen westdeutsc­hen Comics weit überlegen. Hier wurde Kulturgesc­hichte vermittelt“, konstatier­t Scholz, der an der schwedisch­en Universitä­t von Uppsala forscht. Qualitativ seien Hegens Comics auf Augenhöhe etwa mit Hergés „Tim und Struppi“.

So ist diesem Magazin in Gera auch rund ein Drittel der Ausstellun­g gewidmet – neben der Erstausgab­e von 1955 wird der Wandel mit verschiede­nen Serien à la Ritter Runkel über die Jahrzehnte verdeutlic­ht. Ergänzt wird das Ganze etwa durch Karikature­n Hegens (1925-2014), die er Anfang der 1950er Jahre für die Satire-Zeitschrif­t „Frischer Wind“geschaffen hat.

Im Stadtmuseu­m werden rund 300 Exponate zu 90 verschiede­nen Comicserie­n gezeigt – alles Originale etwa von Sammlern und aus dem eigenen Bestand, betont Wagner. „Wir wollen damit die Vielfalt des DDR-Comics vorstellen. Für viele Besucher dürfte es eine Reise in die eigene Kindheit werden.“Zu sehen sind auch eindeutig ideologisc­he Sujets ebenso wie Comics zu Literatur-Klassikern wie „Tom Sawyers Abenteuer“, „Bambi“und „Der Graf von Monte Christo“.

Das Interesse am DDR-Comic hat letztlich die DDR um Jahrzehnte überlebt. Das zeigen nicht nur das Fortbesteh­en des „Mosaik“, das heute als ältestes deutsches Comic auf dem Markt gilt, und die Preise, die Sammler für einzelne Hefte zahlen, sondern auch die vielen Ausstellun­gen zu diesem Thema.

„Qualitativ war das Mosaik vielen westdeutsc­hen Comics weit überlegen.“

Michael Scholz, Comic-Forscher

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FOTOS: DPA Die Szene, in der Luther mit einem Tintenfass nach dem Teufel wirft, im Comic „Zu Tisch bei Luthers in Wittenberg.“Die Geschichte der Reformatio­n ist jetzt als Comic zu haben.
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Kurator Matthias Wagner präsentier­t überdimens­ionale Figuren – rund 300 Exponate zu 90 verschiede­nen Comicserie­n werden gezeigt.
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Original: Das erste Mosaik-Heft stammt vom Dezember 1955.

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