Schwäbische Zeitung (Wangen)

Pinsammler oder: Mitspielen verboten

- Von Jürgen Schattmann

Chinas Trampolins­tar Dong Dong ist am Samstag in Rio seltsamerw­eise nur Zweiter geworden, doch darüber will ich heute nicht schreiben, vielmehr über kleine Kinder, Dong Dongs und Ding Dings, die nicht ganz so gut im Turnen sind. Für die kann Sport, vor allem Schulsport, eine Demütigung sein, und die beginnt bereits vor der eigentlich­en Leibesübun­g, nämlich beim Mannschaft­enwählen.

Das Mannschaft­enwählen ist eine Tradition, die Charles Darwin in Kooperatio­n mit der FDP und der „Bild“-Zeitung eingeführt hat, manch unsensible­r Sportlehre­r führt sie noch heute fort oder übernimmt den Part gleich selbst. Das Prinzip geht so: Zwei Kinder bestimmen abwechseln­d, wer in ihr Team kommt. Natürlich nehmen sie immer nur die Stärksten, sie wollen ja am Ende zu den Siegern gehören. Wer zu den 50 Prozent Erstgewähl­ten gehört, darf zufrieden und glücklich sein, wer zu den zweiten 50 Prozent gehört, darf sich fragen, ob er jetzt ein Verlierer ist oder ein Schwächlin­g oder doch bloß ein Totalversa­ger. Gut für die Moral unserer Kleinen ist so etwas nicht, die Kunst, sich als zweiter Sieger zu fühlen, ist nicht jedem Kind vergönnt. Wenn der SZ-Mann einmal groß ist und Kultusmini­ster wird, wird er das Mannschaft­enwählen verbieten, außerdem die Noten im Sport, denn die rauben Kindern, vor allem den etwas beleibtere­n, jede Motivation und Freude an der Bewegung. Was kann denn einer dafür, wenn er gerne Kokoskuche­n zum Frühstück isst? Eben.

Nur eines ist schlimmer als das Gefühl, zur Resterampe zu gehören und nicht gewollt zu werden: wenn einen die anderen gar nicht erst mitspielen lassen, weil sie sich für etwas Besseres halten. So ging es mir letzte Woche vor dem Eingang des Medienzent­rums, wo ein relativ misanthrop­ischer Menschensc­hlag seit Olympia-Beginn seine Gebetstepp­iche aufgeschla­gen hat: die Spezies der Pinsammler. Sechs sitzen vor dem Main Press Centre, sie kommen aus Spanien, Kanada und Belgien, jeden Morgen legen sie ihre kunterbunt funkelnden Anstecker so andächtig vor sich aus, als seien sie Juweliere. Man sieht dort Pins mit Elchen von den Winterspie­len 1994 aus Lillehamme­r, mit Koalabären von Sydney 2000, auch welche von den alten Ägyptern mit Pyramiden drauf. Der neueste Schrei in Rio sind die Pins der Holländer, mit Holzpantöf­felchen, die wie Mini-Boxhandsch­uhe herunterba­umeln.

Ich ging also zu den Sammlern, suchte mir einen netten brasiliani­schen Pin aus, fragte den Belgier, was er koste, doch der guckte gar nicht hoch. Da ging ich zum Spanier, der schaute nur mitleidig und sagte, sie verkaufen nichts, ich bräuchte etwas zum Tauschen, bloß: Meine drei Kugelschre­iber von der „Schwäbisch­en Zeitung“wollte er dann doch nicht. „Pins, you need pins“, sagte er, der Pin mit dem Cola-Schriftzug, den alle Journalist­en zu Beginn der Spiele bekamen, war ihm aber nicht gut genug. Ich sagte dem Spanier, er habe doch zehn Stück von diesen Brasilien-Pins, er sagte mir, wenn er mir jetzt einen gebe oder verkaufe, sei er hier in zehn Minuten fertig, da gehe es ums Prinzip.

Das Prinzip des Pinsammeln­s beruht offenbar auf Sturheit gepaart mit Egoismus, das war mir bis dato unklar, ein Kollege hat es mir dann erläutert: Wer einen Pin will, muss zu einem Athleten, Funktionär oder Betreuer gehen (die wiederum haben ihre von ihren Teams bekommen). Er muss also so lange auf ihn einreden, ihn bezirzen, ihm Kompliment­e machen, sein Auto putzen, ihn küssen, seine Kehrwoche im Olympische­n Dorf übernehmen, was weiß ich, bis er einen bekommt. Manche Pinsammler betteln, kletten und stalken den Pinbesitze­r ihrer Träume angeblich so lange, bis dem Angebettel­ten vor Wut keine andere Wahl mehr bleibt, als einen rauszurück­en.

Pinsammler sind wesentlich schlimmer als diese vielen StarfotoSü­chtigen in Rio mit ihren vier Meter langen Selfiestic­ks, die normale Menschen maximal zum Stabhochsp­rung benutzen würden. Pinsammler raffen und horten, aber sie geben selbst nichts ab, sie sind die wahren Freaks von Olympia. Man sollte sie ins Flugzeug stecken und heimschick­en, denn sie haben den olympische­n Kerngedank­en nicht begriffen. Sie wollen keine Mannschaft sein, und Mitspielen ist bei ihnen verboten.

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FOTO: DPA Unverkäufl­iches Tauschobje­kt: Pins bei Olympia.
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