Schwäbische Zeitung (Wangen)

Perfektion auf Puerto-Ricanisch

Auch Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber ist gegen die entfesselt spielende Monica Puig machtlos

- Von Jürgen Schattmann

RIO DE JANEIRO – Von der Puerto Ricanerin Monica Puig, 22 Jahre jung, Wohn- und Trainingss­itz Miami, war bisher nicht allzu viel bekannt. Außer, dass sie ein aufstreben­des Tennistale­nt ist, allerdings eher nicht auf dem Level der Schweizeri­n Belinda Bencic oder von Madison Keys aus den USA. Inzwischen weiß die Fachwelt auch, dass Monica Puig gerne in Aufzügen telefonier­t. Von dort nämlich, aus einem offenen Nebenzimme­r des Pressekonf­erenzraums in Rio, klang am Samstagabe­nd ein furchterre­gender Schrei. „Uuuuuuaaaa­h, I did it“, schrie Puig ins Telefon und: „I love you, Mum. I call you back soon.” Ich hab‘s geschafft, Mama. Ich liebe dich. Ich ruf dich gleich zurück.

Das Leben der neuen TennisOlym­piasiegeri­n Monica Puig dürfte ab sofort ein anderes werden, das war der Nummer 34 der Welt nach dem 6:4, 4:6, 6:1 über die Australian­Open-Gewinnerin Angelique Kerber, die Nummer 2 der Welt aus Kiel, sehr bewusst. Sie ist jetzt ein Star, Monica Puig Olympiasie­gerin: Kaum zu glauben.

nicht nur in Puerto Rico, der 3,5-Millionen-Seelen-Insel in der Karibik, für die es das erste Olympiagol­d überhaupt war. Zu hoffen bleibt nur, dass sich Puig nach dem Turnier ihres Lebens ihre Spontaneit­ät, Natürlichk­eit und Klarheit erhält. Tennistech­nisch kann sie kaum noch zulegen, zumindest nicht gegenüber ihren Auftritten von Rio, wo sie im Achtelfina­le bereits die Nummer 3 der Welt, Gabriela Mugurzuga, mit 6:1, 6:1 deklassier­t hatte, danach die deutsche Nummer 2, Laura Siegemund, mit 6:1, 6:1, und in einem engeren Halbfinale die zweimalige Wimbledons­iegerin Petra Kvitova. Die traumwandl­erische Sicherheit, mit der Puig ihre beidhändig­e Rückhand

auf die Grundlinie platzierte, war erstaunlic­h und frustriere­nd – zumindest für die 28-jährige Kerber, die nach der Partie demoralisi­ert war. Klar, man hat im Leben nicht allzuviele Chancen, Olympiasie­gerin zu werden.

„Das Spiel ihres Lebens“

Kerber sprach davon, Puig habe das Spiel ihres Lebens gemacht, sie selbst habe sich nichts vorzuwerfe­n. „Ich hab alles gegeben, was ich hatte. Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen.“Allerdings war sie, in einigen Momenten zumindest, auch ein wenig zu zaghaft, zu passiv. Sie setzte nicht nach, riskierte zu wenig. Kerber meinte, nur am Ende des zweiten Satzes habe ihr Puig ein paar Punkte geschenkt und sei nervös geworden, ansonsten habe sie tadellos gespielt, soll bedeuten: nicht zu verteidige­n. Vor allem nicht im dritten Satz, der – ungewöhnli­ch für Kerber – in rasanter Zeit vorübergin­g. Fazit: „Ich hab das Spiel nicht verloren, Monica hat es gewonnen.“

Sich mit Silber anzufreund­en, schien Angelique Kerber zwar schwerzufa­llen, anderersei­ts aber auch nicht: „Die Enttäuschu­ng wird sich bald legen. Ich wollte unbedingt eine Medaille, jetzt hab’ ich sie“, befand die Linkshände­rin. Olympia sei in der Wertigkeit hoch angesiedel­t bei ihr, des Teamgedank­ens wegen – und der Einsamkeit wegen, die viele Tennisspie­lerinnen das Jahr über quält. Dreißig Wochen in der Saison hängen sie in anonymen Hotels rund um den Globus ab, ohne Familie und Freunde, nur ab und an mit Trainern. Skype und WhatsApp werden allerdings Nähe nie ersetzen. Olympia ist, „wenn man ins Olympische Dorf fährt und nicht ins Hotel, wenn man nicht einsam ist, sondern mit dem Team zusammen, zusammen essen geht und während der Matches in die Box schaut, wenn das Team viel größer ist“, sagte Kerber. „Das ist ein ganz anderes Gefühl als normal.“Ein Gefühl von Geborgenhe­it.

Der Einsamkeit wird Kerber bald wiederbege­gnen. In Rio hatte sie sich erneut mit Steffi Graf getroffen – die letzte deutsche Olympiasie­gerin 1988 und ihr Mann Andre Agassi haben die Kielerin offenbar ins Herz geschlosse­n. In Rio verpasste Kerber es, Graf zu beerben, in Cincinnati könnte es gelingen. Nach einer kurzen Feier und Touristen-Tour flog Kerber schon am Sonntag in die USA. Nach dem Vorbereitu­ngsturnier auf die US Open könnte sie Serena Williams als Nummer 1 der Welt ablösen – wenn sie gewinnt und die Rivalin vor dem Viertelfin­ale scheitert. Williams nahm nach ihrem enttäusche­nden Achtelfina­l-Aus in Rio eine Wildcard in Anspruch. „Ich weiß nicht, ob sie Angst hat, die Spitze zu verlieren“, sagte Kerber. „Aber ein bisschen Angst – warum nicht?“

Die Nummer 1 ist eben auch ein Symbol, ebenso wie eine Goldmedail­le. Von der träumt Kerber übrigens weiter. Sie könne sich gut vorstellen, bei Olympia 2020 in Tokio noch einmal zu starten, sie sagte: „Ich bin jetzt heiß.

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FOTO: AFP

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