Diskussionswürdig
Olympiasieger Christoph Harting sorgt für eine Sensation und noch größere Empörung
RIO DE JANEIRO (dpa/SID/SZ) - Am Tag danach war alles nur noch halb so schlimm: Podest-Tänzer Christoph Harting hat sich entschuldigt. Michael Vesper, deutscher Chef de Mission in Rio und am Samstag noch heftigst empört, zeigte Verständnis. Und aus der Heimat meldete sich Gerd Harting, der Vater der diskuswerfenden Brüder, und versuchte, das seltsame Verhalten seines jüngeren Sohnes zu erklären. Was bleibt? Christoph Harting (26), der kleine Bruder des am Freitag in der Qualifikation gescheiterten Robert, wurde mit seinem letzten Versuch sensationell Olympiasieger und löste mit seinem peinlichen Verhalten danach einen Sturm der Entrüstung aus – in der Heimat und auch beim deutschen Team in Rio.
„Das war nicht wirklich toll“
„Ich möchte allen Leuten, die sich auf den Schlips getreten fühlen, den Zuschauern, die zu Hause geklatscht und mitgefiebert haben, bei denen möchte ich mich entschuldigen und ihnen erklären, dass ich diesen Erfolg weder verarbeitet habe noch in dem Moment verarbeiten konnte“, erklärte er lange nach der Siegerehrung im Deutschen Haus. Er hatte nach seinem Coup im Diskuswerfen beim Abspielen der Nationalhymne auf dem Podest die Arme verschränkt, geschunkelt und herumgealbert.
Am Samstag hatte er bei der ebenfalls sehr skurrilen Pressekonferenz noch gefeixt: „Ich bin ein Mensch, der Rhythmus braucht, der Rhythmus liebt.“Und: „Es ist schwer, zur Nationalhymne zu tanzen, habe ich festgestellt.“Tags darauf fiel seine Erklärung doch etwas einsichtiger aus. „Das erste Mal wurde die Nationalhymne nur für mich gespielt. Egal, wie man versucht, sich das vorzustellen – man ist darauf nicht vorbereitet und so überwältigt von allen Gefühlen“, erzählte er. Den „Flow“aus dem Wettkampf habe er noch so lange gespürt, dass er versucht habe, „auf die Nationalhymne zu tanzen. Das war nicht wirklich toll, muss man sagen. Das war in keiner Weise Missachtung. Das ist natürlich völlig falsch angekommen.“
Eine glatte Untertreibung! „Seine sportliche Leistung war großartig, aber sein Verhalten bei der Siegerehrung ist unwürdig gewesen“, tadelte ihn Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop. „Aus meiner Sicht war das nicht optimal, aber ich bin überzeugt, dass er das so nicht wollte“, sagte DOSB-Boss Alfons Hörmann. Vesper, deutscher Teamchef, meinte: „Was Christoph Harting bei der Siegerehrung gezeigt hat, war nicht gut. Er ist Teil unserer Mannschaft und Botschafter unseres Landes.“
Zumal Harting auch bei der Pressekonferenz weiter Mätzchen machte. „Schönen guten Tag, ich freue mich, Sie zur Pressekonferenz, die relativ schweigend verlaufen wird, begrüßen zu dürfen“, sagte er. „Ich bin Sportler und kein PR-Mensch, ich beantworte echt ungern Fragen. Extrovertierte Menschen wollen wahrgenommen werden. Ich bin ein introvertierter Mensch und fühle mich völlig unwohl hier.“Seltsam arrogant fiel jedoch kurz darauf die Einordnung seines überraschenden Erfolges aus. Der 2,07-Meter-Athlet hatte nämlich erst im letzten Versuch mit 68,37 Metern den Polen Piotr Malachowski verdrängt. „Ich bin zur Legende geworden“, sagte Harting da großspurig. „Ich denke, ich bin in jedem Sportgeschichtsbuch. In allen sportpolitischen Magazinen kann man nachlesen, wer wann Olympiasieger war.“
Selbst Trainer Torsten Lönnfors, der die aus Cottbus stammenden Brüder in einer Gruppe in Berlin betreut, war fassungslos. „Keine Ahnung, was das sollte, ich verstehe es nicht. Christoph muss aufpassen, dass er jetzt nicht frei dreht“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Empörte Reaktionen gab es auch aus der Heimat. „Gold im Diskus ist echt super geil!!! Aber für dieses Verhalten schäme ich mich in Deutschland vor dem TV!“, schrieb der frühere Weitsprung-Europameister Sebastian Bayer auf seiner Facebook-Seite. Handballspieler Pascal Hens ätzte: „Das Verhalten bei der Nationalhymne ist einfach nur peinlich und respektlos!“
In Schutz genommen wurde Harting von seinem Vater. „Wir haben die Siegerehrung auf der Großleinwand mitverfolgt. Das ist Christoph und seine Art, Erfolge zu feiern“, sagte Gerd Harting. „Christoph will seinen Spaß haben.“Und sogar Vesper zeigte sich am Sonntag versöhnlich. „Er hat bisher noch keine Übung gehabt, auf dem Siegertreppchen bei Olympia“, sagte er. „Wenn er noch eine Medaille gewinnen würde, würde er es mit Sicherheit anders machen. Man sollte das nicht allzu hochspielen. Das Thema ist für mich mit seiner heutigen Erklärung erledigt. Und wie er diese Goldmedaille gewonnen hat, ist für mich eine der vielen Geschichten, die Olympia schreibt. Das ist einfach großartig.“