Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kugelstoße­n mit der Brechstang­e

Weltmeiste­rin Christina Schwanitz wird in Rio nur Sechste und ist frustriert

- Von Jürgen Schattmann

RIO DE JANEIRO – Es gibt Nächte, da beginnt es in den Köpfen von Sportlern zu arbeiten, da kommen Ängste auf, Zweifel, auch Wünsche, Begierden: Druck eben – und dem muss man standhalte­n, Lockerheit finden, versuchen, seine Ziele im Wettkampf nicht mit Gewalt zu erzwingen. Keiner ist davor gefeit, zu verkrampfe­n, auch Welt- und Europameis­ter nicht, auch eine Kugelstoße­rin wie Christina Schwanitz nicht, die seit langem mit Sportpsych­ologen arbeiten.

Die „Sportlerin des Jahres“aus Magdeburg hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, nur eine Olympia-Medaille nicht. Und dann? Dann wurde die Mitfavorit­in Freitagnac­ht in Rio Sechste, mit 19,03 Metern, einer „Scheißweit­e“, wie Schwanitz fand. Gleich im ersten Versuch hatte sie sie gestoßen, danach wurden ihre Aktionen nicht besser. Vier Versuche machte Schwanitz ungültig, einer versandete bei 18,90 Metern. „Ich wollte unbedingt diese Medaille“, sagte sie, „und exakt das war das Problem. Wer nur will und will und will, der wird es nicht schaffen. Das war Kugelstoße­n mit der Brechstang­e.“

Am liebsten, sagte die sonst so quirlige und humorige 30-Jährige, würde sie jetzt „nur noch heiß duschen und ab ins Bett, die Decke über den Kopf ziehen und nichts mehr hören oder sehen. Ich habe es einfach verkackt, meine Leistung war Scheiße.“Zwar sei ein sechster Rang bei Olympia aller Ehren wert, nicht aber die Weite. Schwanitz stieß mehr als einen Meter weniger als bei ihrem EM-Sieg einen Monat zuvor, 1,5 Meter weniger als bei ihrem Rekord. Und 84 Zentimeter fehlten zur Dritten Anita Marton, die ungarische­n Rekord warf. Vorne ging die Post ab: Die zweimalige Olympiasie­gerin Valerie Adams (31) aus Neuseeland, die mehr als ein Jahr lang wegen einer Schulterve­rletzung ausgefalle­n war, warf im fünften Versuch 20,42 Meter, die 30-jährige Michelle Carter im letzten 20,63 Meter – US-Rekord, 39 Zentimeter mehr als ihre bisherige Bestleistu­ng. Sie hielt dem Druck, zur besten Sendezeit in Amerika Kugelstoße­n zu dürfen, stand.

Schwanitz diesmal nicht. „Respekt, das war megagut. Aber das erklärt nicht meine eigene Leistung“, sagte sie über die Rivalinnen. Kein Trost war es, dass auch Chinas Mitfavorit­in Gong Lijiao als Vierte mit 19,39 Meter ohne Medaille blieb. Olympia sei nicht irgendein Wettkampf, sondern der wichtigste im Leben, die Anspannung nicht zu vergleiche­n mit einer WM wie jener 2015 China, als sie triumphier­t hatte, sagte Schwanitz noch. Und: „Ich war wohl nicht auf den Punkt fit. Weniger körperlich als vom Kopf her. Ich hatte vor Olympia einfach zu wenige Wettkämpfe.“Nach einer Knie-OP und Schulterpr­oblemen war sie erst Mitte Juni in die Saison eingestieg­en. Aufgeben will Christina Schwanitz allerdings nicht, sondern bis Tokio 2020 weitermach­en. Und dann nicht mehr wollen. Nur noch dürfen.

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FOTO: DPA Frustratio­nen im Olympiasta­dion: Christina Schwanitz.

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