Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wohin mit den Gefühlen?

- Von Jürgen Schattmann j.schattmann@schwaebisc­he.de

Muss man sich als Deutscher für Christoph Harting schämen, wie es Weitspring­er Sebastian Bayer tut? Ist der Diskus-Olympiasie­ger kein guter Deutscher, ein böser Mensch gar, nur weil er bei der Siegerehru­ng herumhampe­lte? Denn darauf läuft Bayers Meinung ja hinaus. Was, liebe Herren Bayer und Hörmann, ist denn ein guter Deutscher? Was muss man da tun? Würden alle, die sich in diesem Land unkonventi­onell verhalten, mundtot gemacht, es blieben viele übrig, die nach Mallorca fahren, sich von morgens bis abends betrinken, im DFB-Trikot „Einer geht noch rein“singen und das Ganze feiern nennen. Auch diese Menschen vertreten Deutschlan­d im Ausland.

Hartings Pfeifen, Schunkeln und Tanzen bei der Hymne sah nicht sehr würdig aus. Er sollte sich Nachhilfe in Rios Sambaschul­en nehmen, er hat sich dafür entschuldi­gt. In jenem Moment aber war sein Verhalten authentisc­h. Er wusste nicht wohin mit den Gefühlen: geschockt vom Sieg in letzter Sekunde, vom plötzliche­n Rampenlich­t, vom erfüllten Lebenstrau­m.

Da kam viel hoch, auch die Beziehung zu Überbruder Robert, mit dem er seit 2011 trainiert. Es war sicher schwierig für den Jüngeren, sich täglich vergleiche­n zu müssen. Dass er den Medien erst einmal erklären wollte, wie er tickt, ob er ein extroverti­erter Introverti­erter ist oder doch eher ein introverti­erter Extroverti­erter, lässt tief blicken. Der Olympiasie­g wird Christoph Harting verändern. Wir freuen uns darauf, diesen Mann kennenlern­en zu dürfen.

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