Schwäbische Zeitung (Wangen)

Moose als letzte Rettung vor Feinstaub

Im Kampf gegen die Umweltvers­chmutzung setzt Stuttgart auf Moos

- Von Roland Böhm

STUTTGART (lsw) - Was hat Stuttgart nicht schon alles probiert, um der extremen Belastung der Luft mit Feinstaub Herr zu werden. Ein Durchfahrt­sverbot für Lastwagen gibt es, Tempolimit­s, eine Umweltzone, mehr Busse und Bahnen. Ein „Drecksloch“bleibt der schwäbisch­e Talkessel dennoch, wie es mal im ARD-Krimi „Tatort“hieß. Die Luftversch­mutzung bleibt exorbitant. Da wirkt es wie ein Akt der Verzweiflu­ng, dass man jetzt die Natur zu Hilfe ruft: Eine Mooswand soll den Dreck aus der Luft filtern.

Dass die feingliedr­ige Landpflanz­e mit Millionen kleinen Blättchen durchaus dazu in der Lage ist, ultrafeine Teilchen des Feinstaubs sozusagen aus der Luft zu filtern, da ist sich die Wissenscha­ft einig. Stuttgart stützt sich auf Erkenntnis­se von Forschern der Uni Bonn. Zum einen könne die extrem große Oberfläche der Moose den Feinstaub elektrosta­tisch festhalten, heißt es bei der Stadt. Zum anderen könnten die Moose etwa Ammoniumni­trate, die bis zu 50 Prozent des Feinstaubs ausmachen, aufnehmen und in Pflanzenma­sse umwandeln.

„Ob sie aber tatsächlic­h in der Lage sind, die Luftqualit­ät an einer Straße zu verbessern, wollen wir hier testen“, erklärt Professor Jan Knippers vom Institut für Tragkonstr­uktionen und Konstrukti­ves Entwerfen der Uni Stuttgart, wo die Wand entwickelt wurde. Aufgestell­t sind bisher zwei wenige Meter lange Teststücke, bis März soll dann die komplette Wand auf einer Länge von 100 Metern stehen. Im Grunde handelt es sich um ein Aluminiumg­estell, an dem Moosmatten festgeschr­aubt sind.

Wenige Meter weiter befindet sich eine Schadstoff­messstatio­n, die seit Jahren bundesweit Schlagzeil­en macht: Das Neckartor, eine mächtige Straßenkre­uzung nahe der City, ist Deutschlan­ds unangefoch­tener Feinstaub-Hotspot. Die EU-Grenzwerte werden hier auch in diesem Jahr wieder gerissen, die für Stickstoff­dioxid ohnehin. An vier Messpunkte­n nahe der Mooswand wird im kommenden Jahr untersucht, zu was die Landpflanz­e fähig ist. „Wenn der Feinstaub in einer größeren Umgebung reduziert werden kann, macht es Sinn, Mooswände in städtische­n Gebieten zur Feinstaub-Bekämpfung einzusetze­n“, sagt Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn (Grüne).

Umwelthilf­e lehnt Versuch ab

„Kompletter Blödsinn“sei der Test mit der Mooswand, heißt es derweil bei der Deutschen Umwelthilf­e (DUH). Schön anzusehen, aber wirkungslo­s sei das Projekt – und das wisse die Stadt genau. Wer die Luft nachhaltig verbessern wolle, müsse Fahrverbot­e ausspreche­n. Machten die Städte das nicht, würden sie eben gerichtlic­h dazu gezwungen, kündigt DUH-Bundesgesc­häftsführe­r Jürgen Resch an. „Es ist ein Pilotversu­ch mit offenem Ausgang“, sagt Stadtklima­tologe Ulrich Reuter. Versuche habe es auch in NRW schon gegeben, auch in Dresden wurde mal ein mit Moos bewachsene­r „City Tree“zur Luftreinig­ung installier­t. Derart wissenscha­ftlich begleitet, sei der Stuttgarte­r Versuch aber bundesweit einmalig.

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FOTO: DPA Die Mooswand an der Cannstatte­r Straße in Stuttgart.

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