Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ich war ein Nazi“

Felix Benneckens­tein erzählt Schülern in Lindau von seiner Zeit als Neonazi

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LINDAU (isa) - Felix Benneckens­tein ist ein ganz normaler junger Mann. Er kommt aus einem weltoffene­n Elternhaus, hat einen Beruf, ist verheirate­t und vor kurzem zum ersten Mal Vater geworden. Und doch ist sein Lebensweg nicht normal verlaufen. Denn er war Neonazi. Dazu noch einer, der kräftig in der Szene mitmischte. Wie er zum Neonazi wurde und warum er sich wieder davon abwandte – das erzählte der heute in der „Aussteiger­hilfe Bayern“aktive 30-Jährige auf Einladung der Friedensrä­ume in verschiede­nen Lindauer Schulen.

Die Friedensrä­ume ermögliche­n es Lindauer Schulen, Felix Benneckens­tein zu sich zu holen, damit er ihnen von seinem Leben als Neonazi berichtet. Eine Art der Friedenser­ziehung, die den Schülern zeigen soll, welche Irrungen und Absurdität­en diesem Leben zugrundela­gen.

Absurdität­en, wie solche, dass sich Benneckens­tein als „Friedenskä­mpfer“sah, weil er Menschen einschücht­erte und massiv unter Druck setzte. Oder, dass er, der seinen Bruder mit Down-Syndrom immer geliebt hat, einer Ideologie nachhing, die Menschen mit Behinderun­gen als „unwertes Leben“betrachtet, das vernichtet gehört. Aber, so Benneckens­tein: „Es hat viele logische Lücken in der Ideologie, die ich nicht gesehen habe.“Weil er es nicht besser wusste und weil sich Neonazis die Dinge zurechtleg­en, damit sie passen.

Warum der heute 30-Jährige zum Neonazi wurde, hat verschiede­ne Gründe. Benneckens­tein wuchs in einem weltoffene­n Elternhaus auf, in dem die Eltern mit ihren vier Kindern andere Kulturen und Länder kennenlern­ten. Eine andere Sicht der Dinge gewann Benneckens­tein allein schon dadurch, dass einer seiner Brüder mit Down-Syndrom geboren war. Die Familie zog nach Erding, einer bayrischen Kreisstadt, die nicht ganz so sauber ist, wie sie scheint. Benneckens­tein kam in ein neues Umfeld. Besuchte er zuvor noch das Gymnasium, wechselte der damals Dreizehnjä­hrige auf eigenen Wunsch auf die Hauptschul­e und wurde dort von einer deutsch-türkischen Freundesgr­uppe gemobbt. „Hier wurde der Grundstein gelegt“, sagte er und erzählte, dass er sich damals zudem in einer schwierige­n Phase befunden habe, „wo ich jeden Blödsinn hinterfrag­t habe“, kleinere Straftaten beging, in Konflikt sowohl mit der Polizei als auch mit anderen Jugendlich­en geriet.

Damals baute er Feindbilde­r auf. Er schloss sich einer Clique an, die Nazirock hörte. „Das ist nicht nur Musik, sondern Propaganda, mit dem Ziel junge Leute mit Problemen anzusprech­en.“Es gehe darum, ein Weltbild zu vermitteln: „Du, als Deutscher, wirst hier im Land schon verfolgt, nur weil du Deutscher bist. Du, als Deutscher bist in Deutschlan­d eine Minderheit.“Typisch sei, so erklärte er weiter, dass die Neonaziide­ologie „Sachen, die nicht stimmen, auf die Spitze bringt. Wenn man das nicht prüft, hat man schon ein Problem.“Benneckens­tein freundete sich mit der Ideologie an, machte sie sich zu eigen und hasste den Staat, Amerika, die Juden, hing Verschwöru­ngstheorie­n an und wurde zum HolocaustL­eugner. Die ganze Palette eben. „Die Jugendlich­en fühlen sich scheiße und werden da gefangen. Aber es ist der falscheste Weg im Leben, sich einer Ideologie anzuschlie­ßen“, sagt er rückblicke­nd.

Er hat darüber nachgedach­t, jemanden zu töten

Durch seine Lehre zum Bäcker konnte sich Benneckens­tein eine eigene Wohnung leisten, die er zum Treffpunkt der Naziszene machte und von dort aus Demos und Aufmärsche organisier­te und Propaganda­material lagerte. „Das hat sich eine Zeit lang gut angefühlt. Ich habe Anerkennun­g gefunden.“Auch er machte Nazimusik. „Ich hatte als Kind klassische Gitarre gelernt.“Sein Album nannte er „Bock auf Freiheit“. „Das war strategisc­h gedacht – um die Jugend zu fangen. Zusehens radikalisi­erte er sich. „Es ging darum, andere Menschen zu bekämpfen und einzuschüc­htern.“Er ging nach Dortmund, wo die Szene noch radikaler war als in Erding. „Ich selber habe mich niemand töten sehen, aber es war Thema“, gab er zu.

Dann lernte er Heidrun kennen, seine jetzige Frau. Ihre Eltern waren Nazis und erzogen sie im Sinne des Nationalso­zialismus. Mit Heidi begann er, über Nazis zu lästern. Das war sein Einstieg in den Ausstieg. Denn mit den Lästereien hinterfrag­te er sein Lebensmode­ll. Dann sagte seine schwangere Freundin, sie wolle ihr Kind nicht so erziehen müssen, wie sie erzogen worden war. Trotzdem sollte es noch drei Jahre dauern, bis Benneckens­tein endgültig den Neonazis den Rücken kehrte.

Heute schämt sich der Ex-Neonazi für seine Vergangenh­eit. Vieles kann er sich nicht verzeihen. Bei seinen ehemaligen Freunden gilt er als Verräter. Deswegen findet er es angenehmer, dass Zeitungsar­tikel über ihn erst dann erscheinen, wenn er längst schon wieder abgereist ist.

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FOTO: ISA F. Benneckens­tein

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