Die Schande
Zum Wahlkampfauftakt lädt die AfD den umstrittenen Björn Höcke nach Tuttlingen ein
TUTTLINGEN - Als er fertig ist, steht der drahtige Mann im eng geschnittenen Anzug am Rand der Bühne und winkt. Staatsmännisch soll das wirken, mit kurzen kontrollierten Armbewegungen. Er nimmt die Ovationen der von den Stühlen aufgesprungenen Zuhörer entgegen. Es sind etwa 200, mehrheitlich männlich und über 50.
Björn Höcke, beurlaubter Oberstudienrat aus Hessen, der die AfDFraktion im Thüringer Landtag führt, gilt als der reaktionärste unter den Führungspersönlichkeiten der Alternative für Deutschland (AfD). Manche Beobachter der Szene sehen den 45-Jährigen eher bei der NPD, sie halten ihn für rechtsradikal. Seit seiner berüchtigten Dresdner Rede im Januar, in der er das Berliner Holocaust-Mahnmal als Denkmal der Schande bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende“gefordert hatte, sind die Zeiten rauer geworden für den alerten Reaktionär: Der Bundesparteitag in Köln fand ohne ihn statt, vorderhand weil das gastgebende Hotel ihm Hausverbot erteilt hatte. Prominente AfD-ler wie Frauke Petry und die Spitzenkandidatin Alice Weidel hatten seinen Parteiausschluss betrieben – allerdings erfolglos.
Jetzt kam der Mann also als Stargast zum Wahlkampfauftakt seiner Partei in den Wahlkreis RottweilTuttlingen. Das ist ein wichtiger Termin, immerhin ist dies der Wahlkreis des Unions-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Volker Kauder.
Keine Vorschläge
Was Höcke und seine beiden Vorredner, die Landtagsabgeordnete Christina Baum und der Kandidat Reimond Hoffmann, sagten, zeigte, wie die AfD mit Angstmacherei, Verunglimpfung und völkischem Vokabular so weit rechts zu fischen versucht, dass die NPD eigentlich nur noch die Selbstauflösung betreiben kann. Oft war an diesem kühlen Abend in Möhringen, unweit der Donau, von „Schande“die Rede, von der „Zerstörung unserer Gesellschaft“und vom Versuch, das deutsche Volk verschwinden zu lassen. Hinweise, was die AfD anders machen wollen würde, gab es keine.
Dass die Veranstaltung mit Höcke eine Dreiviertel Stunde zu spät begann, läge an „den Chaoten“, sagte der Moderator des Abends, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag, Emil Sänze. Neben einer gut organisierten Gegendemonstration hinter Spanischen Reitern gab es auch eine laute Gegenveranstaltung an den Bahngleisen, 200 Meter entfernt. „Unsere Polizisten schützen die Faschisten“skandierten einige junge Männer, woraufhin sehr engagierte Uniformierte mit unverhältnismäßig wirkendem Kraftaufwand eine Schneise für die verschreckten AfD-Anhänger pflügten. Diese wurden dann auf Umwegen in die Angerhalle geleitet, unter ihnen ein alter Mann, der im Selbstgespräch unaufhörlich flüsterte, „ich bin Deutscher, ich bin Deutscher“.
Die Einlasskontrolle in die Angerhalle illustrierte, welche Klientel diese Partei anzieht: Die Sicherheitsmitarbeiter am Eingang waren allesamt sehr freundlich, wenn auch der deutschen Sprache nur begrenzt mächtig. „Haben Sie Ausweis“, fragte einer einen älteren Zuhörer. Der hielt daraufhin dem Kontrolleur seinen Personalausweis vor die Nase und sagte: „Hier, original arisch.“Der Kontrolleur lachte.
Als Vorprogramm trat der Kandidat Hoffmann auf, ein BanaterSchwabe, geboren in Rumänien, der hölzern und einstudiert sprach. CDU und Grüne machten lediglich Politik für die Stadt, der ländliche Raum werde vernachlässigt. Hoffmann arbeitete sich an seinen eigenen Wortwitzen ab, umbenannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière, in „Herr, die Misere“und bleckte seine Zähne, wenn der Saal solchen Klamauk beklatschte. Er war es, der am häufigsten das Wort „Schande“benutzte. Und er forderte von den Zugewanderten „bedingungslose Dankbarkeit und bedingungslose Anpassung an die Deutschen“.
Dann kam die Frau auf die Bühne, die schon mal vom „schleichenden Genozid am deutschen Volk“gesprochen hat und damit die Zuwanderung der Flüchtlinge meinte. Wenn Christina Baum das Wort „deutsche Kultur“oder „deutsches Volk“ausspricht, kann eigentlich niemand mehr an bayerische Blasmusik oder Johann Wolfgang Goethe denken, sondern nur noch an einen kleinen Mann mit geifernder Stimme und Stummel-Schnurrbart.
Baums Stimme bebte,als sie beklagte, dass Kritiker, sie meinte offenbar sich selbst, immer wieder wegen Volksverhetzung angeklagt werden würden. Höcke, „der Björn“, – alle drei Redner duzen einander – , sei einer der Gradlinigsten, die sie in der AfD jemals kennengelernt habe.
Schon seit vergangenem November habe man diese Veranstaltung mit Björn Höcke geplant, sagte der Moderator, sie sei also keinesfalls als Konkurrenz zum Wahlkampfauftakt mit Jörg Meuthen und Alice Weidel am Vortag in Stuttgart zu verstehen. Man wolle in Tuttlingen lediglich die Bandbreite der Partei darstellen. „Was uns verbindet, ist unser Patriotismus“, sagte Emil Sänze. Aber die Veranstaltung war keine Inforunde, sondern eine Solidarisierung mit Björn Höcke. Sie wirkte wie der Versuch, sich als Partei auch für Rechtsradikale offenzuhalten. Während die Spitzenkandidatin Alice Weidel die Lesben und Wirtschaftsvertreter beeindrucken soll, kümmert Höcke sich um die Ewiggestrigen.
Wobei der Oberstudienrat an diesem Abend versuchte, sich gemäßigt zu geben. Es waren viele Journalisten da, vermutlich auch der Verfassungsschutz. Den äußerst reaktionären Part überließ Höcke der Landtagsabgeordneten Baum. Richtig zum Kochen brachte der Demagoge den Saal, als er von der „vaterlandslosen politischen Kaste“sprach, die in Deutschland das Sagen hätten. Angela Merkel habe das Land zu einem Unsicherheitsstaat gemacht. Hörte man Höcke und Baum zu, müsste da draußen im weiten Land ein Bürgerkrieg unmittelbar bevorstehen.