Mit Traktor auf Behinderungen hinweisen
Behindertenseelsorger wollen auf Chancen für die Gesellschaft aufmerksam machen
RAVENSBURG - Hinter einem Traktor fährt niemand gerne her. Doch dass eine Verkehrsbehinderung, wie eine Behinderung bei Menschen, auch Chancen bieten kann, wollen die Behindertenseelsorger der Diözese Rottenburg-Stuttgart zeigen. Dazu fahren sie eine Woche lang mit dem Traktor von Friedrichshafen nach Ulm.
Vom Freitag, 16. Juni, bis zum Samstag, 24. Juni, kann es auf den Straßen zwischen Friedrichshafen und Ulm zu Verkehrsbehinderungen durch einen Traktor der Behindertenseelsorge kommen. Und dass man hinter dem besonderen Traktor der Seelsorgeeinheit der Diözese Rottenburg-Stuttgart her fährt, ist leicht zu erkennen. „Wir haben einen Planwagen als Anhänger auf dem groß die Aufschrift ,Und? Was behindert dich?‘ zu sehen sein wird“, erklärt Gertrud Geiger von der Behindertenseelsorge Allgäu-Oberschwaben. Sie hatte die Idee zur Traktor-Tour und wird einen großen Teil der Strecke selbst mit auf dem Gefährt sitzen. Mit ihr mit fahren außerdem Meinrad Bauer von der Seelsorge aus Friedrichshafen, Sabine Steinwald und Monika Romer von der Seelsorge in Ehingen-Ulm und Karl-Josef Arnold von der Seelsorge für Menschen mit Hörschädigung.
„Der Kern unserer Idee ist, das auf der Straße zu produzieren, was Menschen mit Behinderung dauernd erleben“, sagt Gertrud Geiger. „Unsere Gesellschaft ist auf schnell, flüssig, erfolgreich getrimmt. Das erfüllt der Traktor nicht. Der hat andere Fähigkeiten“, erklärt sie. Ein Traktor könne eben besonders gut über unwegsames Gelände manövrieren und er habe besonders viel Power. „Ich fahre natürlich auch nicht besonders gerne hinter einem Traktor her. Aber ich habe mir angewöhnt, dann kurz innezuhalten. Plötzlich entdeckt man die Blumen am Wegrand, die Landschaft und man hat die Gelegenheit, auch mal im Inneren langsam zu werden“, sagt Gertrud Geiger. So eröffne die Verkehrsbehinderung Traktor plötzlich ganz neue Blickwinkel.
Andere Blickwinkel einnehmen
Und das sei eben auch bei Menschen mit Behinderung so. Sie hätten andere Fähigkeiten als Menschen ohne Behinderung. Das hieße aber nicht, dass diese nicht genauso bereichernd für die Gesellschaft sein könnten wie Menschen ohne Handicaps, sagt Geiger. Die Menschen dazu zu bringen andere Blickwinkel einzunehmen und über das nachzudenken, sei die Hauptaufgabe auf der Traktor-Tour. „Jeder hat ja etwas, was ihn behindert und sei es der Bluthochdruck“, sagt sie. Die Gesellschaft habe dabei jedoch eine Grenze gezogen, was noch normal ist und was als Behinderung gilt: „Man sollte weg kommen von dieser Einseitigkeit und darüber nachdenken, wie ein Ding ist und wie ich das bewerte“, sagt sie. Nur wenn dies allgemein zur Sprache gebracht werde, könne ein normales Miteinander möglich sein – und das sei schließlich das Ziel. „Viele Menschen müssen erst lernen, was ein normaler Umgang mit Menschen mit Behinderung hilft“, erklärt die Seelsorgerin.
Sie kennt die Hürden, die Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zu bewältigen haben direkt aus ihrer Arbeit. Dabei erlebt Gertrud Geiger immer wieder, dass eines der Hauptprobleme ist, dass gesunde Menschen eben nicht wissen, wie sie überhaupt mit Menschen mit Behinderung umgehen sollen. „Da ist zum Beispiel die Frage: Darf ich hinschauen? Natürlich darf ich hinschauen, ich schaue ja auch ein auffälliges Kleid an. Aber wenn dann zurückgeschaut wird, muss ich den Blickkontakt auch aushalten und vielleicht grüßen oder einfach lächeln. So, wie ich eben auch meine Nachbarin grüßen würde“, sagt Geiger.
Um solche Tipps weiterzugeben und mit möglichst vielen Menschen in Kontakt zu kommen, halten die Traktorfahrer regelmäßig an Zwischenstationen der Tour. Am Sonntag, 18. Juni, hält der Traktor beispielsweise in Ravensburg zum Gottesdienst in St. Jodok. Und einen Tag später stehen die Seelsorger auf dem Marktplatz in Wangen. „Wir haben Infostände, Filmaufführungen mit anschließenden Gesprächsrunden und auch ein Kabarett im Programm“, sagt Geiger. So sollen möglichst viele dazu bewegt werden, darüber nachzudenken, was denn eine Behinderung für sie überhaupt ist und welche Chancen das für sie bedeutet.