Flieg, Taube, flieg!
Mit bis zu Tempo 100 und dank ihres Orientierungssinns sind die Tiere zielstrebig unterwegs
BAIENFURT - Ihnen ist der Stau auf der Autobahn egal: Brieftauben nehmen den direkten Weg per Luftlinie und können stundenlang mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h fliegen. Über ein natürliches „Navi“kehren sie stets an ihren Geburtsort zurück. Züchter nehmen das zum Anlass, bei regelmäßigen Flugtagen die schnellsten Tiere zu ermitteln.
Wenn die Tauben auf Reisen gehen, fühlt sich Jochen Berger wie ein Fußballtrainer. „Ich muss auswählen, wer mitmachen kann und wer besser daheimbleibt“, sagt er. Dazu schaut er sich jedes seiner 89 Tiere genau an. Wer ist fit, wer ist verletzt, wer hat beim täglichen Training gut abgeschnitten? Nur ganz gesunde Tauben schickt er los – in diesem Fall nach Frankreich – um sie kurze Zeit später wieder im heimischen Taubenschlag willkommen zu heißen.
Genau wie einem Fußballtrainer liegen auch Jochen Berger seine Schützlinge am Herzen. „Jede Taube ist anders“, sagt er und lässt den Blick durch den selbst gebauten Taubenschlag schweifen. „Und ich finde, sie sehen sehr schön aus.“Bereits als Jugendlicher kam er mit den Tieren in Kontakt: Sein Opa hatte Tauben, und ein Bekannter seines Opas schenkte dem damals 12-Jährigen ein paar Brieftauben. Vor Kurzem hat Jochen Berger sein damals begonnenes Hobby wieder aufgenommen. Er ist Mitglied der Brieftauben-Reisevereinigung Bodensee und nimmt mit seinen Tieren regelmäßig an Preisflügen teil.
Der Name Reisevereinigung kommt nicht von ungefähr: Jedes Jahr zwischen Mai und Juli stehen bei dem Verein 12 bis 14 Wettflüge auf dem Programm. Die Tauben bewältigen dabei Distanzen zwischen 150 und 650 Kilometer. Die Reise, auf die Jochen Berger seine Tiere gerade vorbereitet, wird nach Frankreich führen. Den Hinweg legen die Tiere motorisiert zurück: Der Züchter fährt sie in speziellen Transportboxen mit seinem Auto zum Treffpunkt in Wangen, wo ein Spezialfahrzeug, ein sogenannter Kabinenexpress, wartet. Zusammen mit rund 2000 Artgenossen treten sie dann die Fahrt ins Nachbarland an. Dort werden sie vom Flugleiter – der zuvor die Wetterprognosen prüft – freigelassen.
„Brieftauben sind Herdentiere“, sagt Jochen Berger, „deshalb fliegen sie in der Regel gemeinsam zurück in die Heimat. Genau genommen fliegen die Tiere immer zurück an den Ort, an dem sie geboren wurden und aufgewachsen sind. Wie das funktioniert, darüber sei man sich noch immer nicht ganz im Klaren, erklärt der Züchter: „Früher dachte man, dass sie durch das Magnetit am Schnabel quasi einen Kompass haben.“Neuere Untersuchungen hätten aber gezeigt, dass die Tauben wahrscheinlich über das Erdmagnetfeld und den Sonnenstand den Weg nach Hause „berechnen“können. Und so kann der „Taubenvater“ seine gefiederten Freunde meist schon wenige Stunden nach dem Flugstart wieder in Baienfurt begrüßen, wo deren Flugzeit elektronisch registriert wird. Sollte doch mal ein Tier fehlen, ist es möglicherweise Beute eines Greifvogels geworden. Oder es ist durch Nebel, starken Regen oder Wind vom Weg abgekommen. Wer eine solche verirrte Brieftaube findet, kann über die Nummer an ihrem Fußring den Besitzer ausfindig machen. So ist Jochen Berger auch schon mal in die Schweiz gefahren, um eine seiner Tauben abzuholen. Damit sie bei ihrem nächsten Flug wieder Teil ihrer Baienfurter „Herde“sein kann.