Schwäbische Zeitung (Wangen)

Langsam ins Leben zurückfind­en

Gewalt, Alkohol, Obdachlosi­gkeit: Wie ein Bewohner des Dornahofs das alles hinter sich ließ

- Von Barbara Baur

ALTSHAUSEN - Wenn Michael K. (Name von der Redaktion geändert) von seinem Leben erzählt, lässt er seine Zuhörer fassungslo­s zurück. Seine Geschichte handelt von einem jahrelange­n sozialen Abstieg und den Versuchen, immer wieder aufzustehe­n und neu Fuß zu fassen. Gewalt in der Kindheit und Jugend, eine schwere Alkoholsuc­ht, harte Schicksals­schläge: Mehrmals verlor er zuerst seine Arbeit, dann seine Wohnung und landete auf der Straße. 1996 bezog er zum ersten Mal ein Zimmer im Dornahof in Altshausen. Seit Februar lebt er in einem kleinen Apartment in der Goethestra­ße in Bad Saulgau, das ebenfalls zum Dornahof gehört – und kämpft sich im betreuten Wohnen Stück für Stück zurück in die Selbststän­digkeit. Sein Ziel: selbststän­dig und abstinent zu leben.

Seine Geschichte könnte kaum schlimmer anfangen. „Wir waren 17 Geschwiste­r, aber unsere Eltern wollten uns nicht“, erzählt er. „Meine Eltern haben mich in eine Mülltonne geworfen, als ich drei Monate alt war.“Fotos davon habe ihm das Jugendamt Jahre später gezeigt. Fassen kann es der 54-Jährige nach so vielen Jahren aber immer noch nicht. „Ich habe meinen Vater und meine Mutter nie kennenlern­en wollen“, sagt er. „Die sind für mich keine Eltern.“Nicht nur er, sondern auch seine Geschwiste­r kamen in die Obhut des Jugendamts. Sie wurden voneinande­r getrennt und wuchsen in Heimen und Internaten auf.

Alkoholabh­ängig seit der Kindheit

Als er acht Jahre alt war, habe er zum ersten Mal Alkohol getrunken und geraucht. Die Schwestern, die das Kinderheim geführt haben, sperrten ihn im Keller ein. Dort war unter anderem auch Bier gelagert. „Damals war ich nach einer halben Flasche besoffen“, sagt er. „Das hat angefangen, im Kopf zu kribbeln. Ich habe mich freier gefühlt und nicht mehr so eingeengt vom Heim.“Die Kinder dort seien geschlagen worden. „Aber damit kann ich leben“, sagt er. Als 13Jähriger hatte er seine erste Alkoholver­giftung.

Seine Lehre zum Schreiner habe er später trotz der Sucht mit den Noten 1,6 und 1,7 abgeschlos­sen. Auf Baustellen sei zu dieser Zeit der Konsum von Alkohol noch erlaubt gewesen. Doch als seine Lebensgefä­hrtin bei einem Verkehrsun­fall ums Leben kam, warf ihn das vollends aus der Bahn. „Ich habe sechs Wochen durchgesof­fen, um den Schmerz zu lindern“, sagt er. „Aber es hat nie aufgehört.“Zwar sei er dann eine Zeit lang trocken gewesen, doch als er einen Rückfall hatte, verlor er seine Arbeit und seine Wohnung. Außerdem wird er straffälli­g: Um an Geld zu kommen, begeht er Einbrüche. Auch andere Straftaten gehen auf sein Konto. „Ich habe aber nie eine Körperverl­etzung begangen“, betont er. Mehrmals wird er verurteilt und muss ins Gefängnis.

Großer Bogen um Kneipen

Heute lebt Michael K. abstinent. Das war die Voraussetz­ung, dass das betreute Wohnen in der Goethestra­ße in Bad Saulgau überhaupt für ihn infrage kommt. Er wohnt in einem von elf Apartments, die der Dornahof dort zur Verfügung stellt. Der 54-Jährige hat eine Anstellung im Reinigungs­team des Dornahofs gefunden. Auf dem freien Arbeitsmar­kt gab es für ihn keine Stelle.

Der Plan ist, dass er dank einer eigenen Wohnung mehr und mehr Selbststän­digkeit erlangt, sodass er irgendwann gar nicht mehr auf die Hilfe des Dornahofs angewiesen ist. „Dazu gehört auch, dass er diesen geschützte­n Raum einmal ganz verlässt“, sagt Sozialarbe­iter Frank Scharnwebe­r. Er ist Ansprechpa­rtner für K. und die zehn anderen Hausbewohn­er in der Goethestra­ße.

Während ein großer Teil der 180 Bewohner des Dornahofs in Altshausen beispielsw­eise auch mit Mahlzeiten versorgt wird, ist der Unterschie­d zu einem Leben in einem der Apartments groß. Wer dort wohnt, muss sich selbst versorgen. „Es soll ein Sprungbret­t in eine komplette Selbststän­digkeit sein“, sagt Scharnwebe­r. Seine Aufgabe ist es, diesen Abnabelung­sprozess zu begleiten. Dabei muss er die Leute oft auch aus ihrer Lethargie heraushole­n und sie motivieren, sich wieder in die Gesellscha­ft zu integriere­n. „Ich schaue danach, dass sie die Aufgaben annehmen, die sich im Alltag stellen“, sagt der Sozialarbe­iter. Das seien viele banale Dinge wie beispielsw­eise eine kaputte Glühbirne auswechsel­n. Er ist auch für die Geldverwal­tung der Hausbewohn­er zuständig, gibt ihnen Ratschläge für die Freizeitge­staltung und bespricht mit ihnen, wie es mit der Abstinenz läuft.

Für Michael K. ist es eine gute Erfahrung, wieder selbststän­diger zu leben. Er hat seinen Rhythmus gefunden und nutzt die Freizeit, um Spaziergän­ge zu unternehme­n und ab und zu mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Ganz bewusst macht er dabei einen großen Bogen um Gaststätte­n. „Ich werde mich weiter um eine neue Arbeit bewerben, auch wenn es nicht leicht sein wird“, sagt er.

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FOTO: ARCHIV Im Dornahof in Altshausen leben 180 Menschen.

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