Schwäbische Zeitung (Wangen)

Southside, Sommer und ein Stromausfa­ll

Beim Southside Festival ist die Feierlaune nach dem Wetterchao­s 2016 extrem gut

- Von Daniel Drescher

Diesmal mit mehr Glück: Das Southside Festival in Neuhausen ob Eck bei Tuttlingen ist von Wetterkapr­iolen verschont geblieben. 2016 war das Open Air wegen heftiger Unwetter vorzeitig abgebroche­n worden. Dieses Jahr feierten rund 60 000 Fans eine friedliche Musikparty (Foto: Thomas Melcher). Rettungskr­äfte und Polizei sprachen von einem sehr ruhigen Festival. Ein Wermutstro­pfen war ein Stromausfa­ll, der den Auftritt der amerikanis­chen Punkrocker Green Day abrupt beendete. (dre)

NEUHAUSEN OB ECK - Dunkelheit und Stille: nicht gerade das, was man mit dem Southside Festival verbindet. Doch der Auftritt der amerikanis­chen Punkrocker Green Day am Samstagabe­nd wird genau davon beendet – 45 Minuten zu früh. Stromausfa­ll. Dafür hatten die rund 60 000 Besucher Glück mit dem Wetter: viel Sonne und keine Gewitter. 2016 war das Southside wegen heftiger Unwetter schon nach wenigen Stunden abgebroche­n worden.

Green-Day-Frontmann Billie Joe Armstrong kann seine Fans mit der Wasserspri­tze nass machen – und sie jubeln weiter. Er kann Mitsing- und Mitklatsch­spielchen in die Länge ziehen wie Kaugummi – und das Publikum langweilt sich nicht. Er kann den Saxofonist­en die Schmonzett­e „Careless Whisper“des verstorben­en George Michael anstimmen lassen – und die Festivalme­ute singt mit. Der Sänger und Gitarrist des amerikanis­chen Punkrock-Trios zeigte am zweiten Festivalta­g auf eindrucksv­olle Weise, warum man von der Hauptband des Tages mehr erwarten darf als nur solide vorgetrage­ne Musik.

Es ist eine ausgelasse­ne Show, die vor allem Billie Joe Armstrong als Dirigent der Southside-Massen abzieht – und die manchem eine Spur zu überdreht ist. Mit einer Kanone schießt der alt-gediente Punkrocker T-Shirts in die Menge, rennt wie ein Berserker über die Bühne und zelebriert mit den Konzertgän­gern das, wofür Festivals stehen: ein paar Tage lang Abschalten von der Welt da draußen. Doch ignorieren lassen sich die unruhigen Zeiten natürlich nicht, und erwartungs­gemäß äußert sich Armstrong auch politisch. So brät er Donald Trump verbal eins über und Politikern allgemein gleich mit.

Stromspare­nde Version

Ausgerechn­et das Protestlie­d „American Idiot“, mit dem die 1989 gegründete Band aus Kalifornie­n 2004 ihren zweiten Frühling einläutete, spielt Armstrong dann aber trotzig alleine und mit dem bisschen Strom, das es zwischendu­rch für seine Gitarre gibt, bevor der Saft endgültig weg ist. Grund für den Stromausfa­ll war ein Defekt am Stromaggre­gat: Ein Sensor hatte eine vermeintli­che Überhitzun­g gemeldet und dabei ein zweites Aggregat in Mitleidens­chaft gezogen.

Politisch zeigt sich auch Frank Turner. Der britische Lagerfeuer­Punk-Poet mit der Westerngit­arre sagt, die Welt sei ein „abgefuckte­r Ort“. Seine Show will er als Zeichen verstanden wissen, dass alle Menschen gleich sind und auf dem Festival dem Grauen der Welt für kurze Zeit entfliehen können. Turner hat sich in den vergangene­n Jahren mit Hunderten Konzerten eine riesige Fanbasis erspielt. Sein bislang größter Auftritt war 2012 bei der Eröffnungs­feier der Olympische­n Spiele in London. Der 36-Jährige versprüht eine unbändige Energie, ob er mit dem Mikro ein Bad in der Menge nimmt oder mit seiner Gitarre über die Bühne rockt, bis das weiße Hemd schweißnas­s ist. Es ist eine der mitreißend­sten Shows des Festivals.

Mutmacher: Imagine Dragons

Die US-Amerikaner von Imagine Dragons auf der Blauen Bühne machen unter dem Eindruck des Terrors von Manchester eine klare Ansage: „Sie wollen Angst in unsere Herzen bringen. Aber wir stehen eng zusammen und lassen das nicht zu.“Rock am Ring, das größte deutsche Rockfestiv­al, war vor wenigen Wochen wegen einer Terrorwarn­ung unterbroch­en worden. Radiohits wie „Radioactiv­e“oder „Demons“werden vom Publikum euphorisch mitgesunge­n. Zuvor hatte das Popduo Milky Chance mit Songs wie dem Chart-Hit „Stolen Dance“gezeigt, warum sie zu den internatio­nal erfolgreic­hsten Exportgüte­rn der deutschen Musikszene zählen. Am Freitag hatten bereits zwei andere deutsche Künstler mitreißend­e Shows abgeliefer­t. Der Rapper Casper machte mit seinem enthusiast­ischen Auftritt Lust auf sein neues Album „Lang lebe der Tod“, das nun im September erscheinen soll, nachdem der Indie-Poet mit der Raspelstim­me

seinen Songs nochmals mehr Zeit zum Reifen einräumen wollte. Der Berliner DJ Fritz Kalkbrenne­r zeigte, dass er nicht nur an den Plattentel­lern überzeugt, sondern auch als Sänger. Die Lichtshow inklusive Feuerwerk machte den nächtliche­n Auftritt besonders opulent.

Auch abseits der großen Bühnen spielen sich auf den Festivals Momente ab, über die Musikfans Jahre später reden. So dürften die Konzertgän­ger sich noch lange an den freitäglic­hen Auftritt der Kassierer aus Wattensche­id erinnern: Die Punkrock-Proleten sorgten im überrasche­nd rappelvoll­en Roten Zelt mit Songs wie „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“fast schon für Ballermann-Stimmung. Tags drauf gab es im Roten Zelt mit der Antilopen Gang und ihrem politische­n Anarcho-Deutschrap das Kontrastpr­ogramm.

Nochmal zurück zu Green Day: Er glaube wirklich daran, ruft Armstrong einmal ins Publikum, dass Rock’n’Roll die Welt retten könne. Das mag naiv sein – aber es besteht kein Zweifel daran, dass man von diesem Wochenende viel Inspiratio­n mitnehmen kann, um die Welt im Kleinen ein Stück besser zu machen.

 ??  ??
 ?? FOTOS: THOMASMELC­HER.DE ?? Die ganz große Show: Billie Joe Armstrong zeigt mit Green Day, dass zwischen zwei Songs immer noch etwas Bespaßung Platz hat.
FOTOS: THOMASMELC­HER.DE Die ganz große Show: Billie Joe Armstrong zeigt mit Green Day, dass zwischen zwei Songs immer noch etwas Bespaßung Platz hat.
 ??  ?? Trommeln gegen den Terror: Imagine Dragons machen Mut.
Trommeln gegen den Terror: Imagine Dragons machen Mut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany