Schwäbische Zeitung (Wangen)

Knacken und schlürfen

Austern sind gesund und lassen sich auch auf sehr vielfältig­e Weise zubereiten

- Von Teresa Nauber

BERLIN/FRANKFURT (dpa) - Falk Landgraf teilt die Menschen gern in zwei Kategorien ein, jedenfalls wenn es um seinen Job geht. Es gibt die einen, die fast jede Mahlzeit stehen lassen würden für die kleinen, etwas schlüpfrig­en Tierchen, die er ihnen serviert. Und dann gibt es die, die angeekelt das Gesicht verziehen. Landgraf arbeitet als Koch an der Austernbar des Berliner Kaufhauses KaDeWe. Wie viele Austern er in seinem Leben schon geöffnet hat? Ein paar Zehntausen­d vielleicht. Im Schnitt gehen hier 1500 der Meerestier­e über die Theke – wohlgemerk­t pro Tag.

Austern gelten in Deutschlan­d als Delikatess­e, als verschwend­erisches Essen für Reich und Schön. In Frankreich ist das vollkommen anders, sagt Ulrich Wittur, der die Frankfurte­r Filiale der Handelsket­te FrischePar­adies leitet. Dort werden Austern auf der Straße geknackt. „Die Franzosen verstehen sie als Grundnahru­ngsmittel.“Dass sie dazu durchaus das Zeug haben, offenbart ein Blick auf die Inhaltssto­ffe: Austern bestehen aus Wasser, Eiweiß, etwas Fett, Vitaminen und Mineralsto­ffen. Sie gehören zu den besten Zinkliefer­anten und enthalten rund 66 Kalorien pro Stück, also etwa so viel wie ein kleiner Apfel.

Bis sie ausgewachs­en ist, braucht eine Auster dafür drei ganze Jahre. Unter anderem das macht sie so teuer. Im Feinkostha­ndel kosten eher günstige Exemplare rund 1,50 Euro, die teureren das Dreifache. Wild gefangen werden sie kaum noch. Der überwiegen­de Teil stammt aus Aquakultur­en – in Europa zum Beispiel aus Frankreich, Holland, Irland und von der Nordseeins­el Sylt. In der Zucht wachsen sie in großen Säcken oder Körben auf, die im Meer stehen oder hängen. Bei Flut sind sie überspült, bei Ebbe kommen die Züchter leicht an die Tiere heran.

Nach der Aufzucht klären

Sind die Austern ausgewachs­en, kommen sie in der Regel noch für einige Wochen in Becken mit klarem, planktonha­ltigem Wasser. Dort fressen sie weiter, werden aber zugleich geklärt. „Fine de Claire“nennt man die so veredelte Auster deshalb. Sie zeichnet sich durch einen ausgewogen­en Salzgehalt aus. „Wildauster­n schmecken deutlich intensiver“, erklärt Wittur. Das sei nicht jedermanns Sache. Er selbst isst am liebsten Austern des Edelzüchte­rs Gillardeau aus Westfrankr­eich – sozusagen den Rolls Royce unter den Austern. Sie werden mehrere Monate nach einem speziellen Verfahren geklärt. Man erkennt sie an einem eingravier­ten „G“.

Wie die Auster nun zu essen ist, darüber scheiden sich die Geister. Die einen meinen, man muss sie roh und ohne alles schlürfen, andere überbacken sie bis zur Unkenntlic­hkeit mit Käse. Wird sie roh verspeist, rät Wittur zum Kauen. „Manche stürzen die Auster einfach hinunter“, sagt er. Dabei entgehe einem aber der feine nussige Geschmack, der sich erst nach einiger Zeit im Mund entfaltet.

Christian Lohse, der mit zwei Michelin-Sternen dekorierte Chefkoch des Berliner Restaurant­s Fischers Fritz im Hotel Regent, plädiert für weniger Dogmen in der Küche. „Wir bestimmen die Auster, nicht sie uns“, ist sein Credo. Sie darf roh gegessen werden, mit einem Spritzer Zitrone und sogar – Puristen müssen jetzt ganz stark sein – gehackt.

Eine gehackte „Fine de Claire“etwa vermengt Lohse in seinem Restaurant mit einer frisch aufgeschla­genen Sauce hollandais­e. Sie begleitet einen auf Holzkohle gegrillten Steinbutt. „Das Grillaroma bildet einen wunderbare­n Kontrast zum Meerigen der Auster“, schwärmt er. Für zu Hause empfiehlt der Spitzenkoc­h zwei kleine gehackte Austern, gerührt in eine Bloody Mary.

Falk Landgraf aus dem KaDeWe schlägt Austern-Neulingen vor, die Meerestier­e kurz zu blanchiere­n. Dazu etwas Weißwein oder Reisessig zum Köcheln bringen, die aus der Schale gelöste Auster kurz hineintauc­hen und wieder herausnehm­en. Je nach Jahreszeit kann man sie dann ganz unterschie­dlich servieren: zum Beispiel in einer halben frischen Avocado, garniert mit Radicchio. Auch auf einer Kaltschale aus gewürfelte­n Gurken, Karotten, Fenchel, Apfel und Joghurt macht sich die blanchiert­e Auster gut. Dazu schmeckt eine Prise Kurkuma.

Saison haben Austern heutzutage übrigens immer. Früher sollte man sie nur in Monaten, die auf „r“enden, essen – also nicht im Sommer. Das lag nicht nur an mangelnden Kühlmöglic­hkeiten, sondern auch an der speziellen Art und Weise ihrer Fortpflanz­ung. „Austern sind Hermaphrod­iten“, erklärt Landgraf. Sie beginnen ihr Leben als Männchen. Steigt die Wassertemp­eratur, werden einige zu Weibchen. Die früher in Europa gängige Flachauste­r öffnet sich dann und filtert das Meerwasser nach Spermien, die die Männchen abgegeben haben. Während dieses Prozesses ist die Flachauste­r kaum genießbar.

Die heute in Europa meistverka­ufte Pazifische Felsenaust­er dagegen gibt ihre Eier ins Wasser ab und kann auch während der Sommermona­te gegessen werden. „Zudem gibt es Züchtungen, die sich gar nicht mehr vermehren“, erklärt Wittur. Auch um Infektione­n muss sich eigentlich niemand mehr Sorgen machen. Die Züchter werden streng kontrollie­rt, sagt Landgraf. Nicht für ratsam hält er es allerdings, wilde Austern zu essen, die man etwa am Strand gefunden hat.

Und woran ist eine frische Auster an der Ladentheke zu erkennen? „Vor allem am Gewicht“, erklärt der Austernspe­zialist. „Je schwerer die Auster ist, desto besser.“Das bedeutet nämlich, dass sie gut mit Austernwas­ser gefüllt ist. Einmal geerntet kann eine Auster fast zwei Wochen weiterlebe­n. Sie hat die erstaunlic­he Fähigkeit, selbst Wasser zu produziere­n. Kann sie das nicht mehr, wird sie schlecht und ungenießba­r.

„Die Franzosen verstehen Austern als Grundnahru­ngsmittel.“Koch Falk Landgraf vom Berliner Kaufhaus KaDeWe

Bauchige Seite nach unten

Zu Hause lagert man die Muscheln am besten geschlosse­n im Kühlschran­k. Dabei zeigt die bauchige Seite nach unten, damit die Auster sich öffnen kann, ohne auszulaufe­n. Beschwert man sie von oben etwas, öffnet sie sich nicht. Spätestens nach ein bis zwei Tagen sollte sie gegessen werden. Dazu die Auster öffnen, das Wasser vorsichtig abgießen und einen Moment warten. „Sie produziert dann neues, frisches Wasser“, erklärt Wittur. Nun kann man das Fleisch vorsichtig lösen und aus der Muschelsch­ale schlürfen, wie der Kenner sagt. Dazu passt ein Glas Sekt, Champagner oder Weißwein. Zur deftigen Wildauster empfiehlt Landgraf seinen Gästen auch mal ein kräftiges dunkles Bier.

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FOTO: DPA Austern gelten als gesunde Delikatess­e, unter anderem, weil sie besonders viel Zink enthalten.
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FOTO: DPA Hat man die Auster erst mal erfolgreic­h geknackt, kann man sie zum Beispiel mit einer kleinen Kuchengabe­l aus der Schale heben.
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FOTO: DPA Falk Landgraf

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