Schwäbische Zeitung (Wangen)

Urgestein

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Wieder verliert der Bundestag ein Urgestein: Marieluise Beck, Grünen-Abgeordnet­e der ersten Stunde, verlässt im September das Parlament, weil sie den Rückhalt in ihrem Bremer Wahlkreis verloren hat und deshalb auf eine weitere Kandidatur verzichtet. Zu viel Außenpolit­ik statt Bremer Interessen­vertretung – das vor allem wirft die Parteibasi­s ihr vor.

Als Beck am Sonntagabe­nd in der Bremer Kulturkirc­he St. Stephani ihren 65. Geburtstag und ihren Parlaments­abschied feierte, da ließen sich unter den 200 Gästen zwar kaum Bremer Grünen-Funktionär­e blicken, aber dafür meldeten sich Lobredner aus der Ukraine und Russland zu Wort. Die Osteuropa-Expertin der Grünenfrak­tion sei „eine unermüdlic­he Streiterin für Menschenre­chte“, sagte der ukrainisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Andrij Melnyk. In der Ukraine, behauptete er, kenne jeder die Abgeordnet­e Beck. Im Streit mit Russland ergreife sie die Partei der Opfer, ohne auf Kritik an der Ukraine zu verzichten.

Die 65-Jährige hat noch einiges vor gemeinsam mit ihrem Ehemann Ralf Fücks, der Ende Juni als Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Ruhestand geht. „Ein paar Runden können wir noch drehen“, sagte Beck und kündigte nebulös ein Projekt an: Im Herbst wollen die Eltern zweier erwachsene­r Töchter „eine Art NGO“gründen, also eine Art Nichtregie­rungsorgan­isation, die sich gegen die „reaktionär­e Bewegung“in West und Ost engagieren soll.

34 Jahre ist es jetzt her, dass Beck zum ersten Mal für die junge Ökopartei ins Parlament einzog. Gemeinsam mit Petra Kelly und Otto Schily leitete sie die erste Fraktion. Legendär der verdorrte Tannenzwei­g, den sie 1983 bei einer ihrer ersten Amtshandlu­ngen Bundeskanz­ler Helmut Kohl (CDU) überreicht­e, als Mahnung gegen das Waldsterbe­n.

Die gebürtige Niedersäch­sin wuchs mit sechs Geschwiste­rn in Bramsche bei Osnabrück auf und arbeitete später als Lehrerin in Pforzheim. Bei den Grünen in Baden-Württember­g stieg sie 1980 zur Landesspre­cherin auf – entdeckt vom heutigen Grünen-Regierungs­chef Winfried Kretschman­n, wie sie sich erinnert. Drei Jahre später saß sie im Bundestag. Von 1998 bis 2005 arbeitete sie für die rotgrüne Regierung zunächst als Ausländer-, dann als Migrations­beauftragt­e. Eckhard Stengel

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