Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wachsende Altersarmu­t

Besonders hoch ist das Risiko laut Studie für alleinsteh­ende Frauen

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - In der Generation der heute etwa 50-Jährigen wird das Armutsrisi­ko im Rentenalte­r teilweise drastisch ansteigen. Jeder fünfte Neurentner wird in 20 Jahren davon betroffen sein. Das geht aus einer am Montag veröffentl­ichten Studie zweier Wirtschaft­sforschung­sinstitute im Auftrag der Bertelsman­n-Stiftung hervor. Als arm gilt jemand, der weniger als 958 Euro im Monat zur Verfügung hat. Auch der Anteil der Rentner, die auf eine staatliche Grundsiche­rung angewiesen sein wird, erhöht sich danach kräftig auf sieben Prozent. Als sie 2003 eingeführt wurde, mussten nur 1,7 Prozent der Ruheständl­er die Grundsiche­rung beantragen.

Laut Bertelsman­n sind zwei Faktoren für diese Entwicklun­g verantwort­lich. Die Arbeitsver­hältnisse werden „vielfältig­er, unsteter und flexibler“. Befristete Verträge oder Teilzeittä­tigkeiten, Soloselbst­ständigkei­t und Leiharbeit haben die unbefriste­ten Vollzeitst­ellen teilweise ersetzt. Die Zahl der gering entlohnten Jobs ist angestiege­n. Das führt zu geringeren Rentenansp­rüchen.

Der zweite Faktor sind die Reformen in den gesetzlich­en Renten, deren Niveau nach und nach abgesenkt wird. Eigentlich sollte dieser Verlust durch eine zusätzlich­e, staatlich geförderte private Vorsorge ausgeglich­en werden. Diese Rechnung geht wohl nicht auf. „Der erhoffte Beitrag der privaten Vorsorge zur Alterssich­erung könnte durch anhaltend niedrige Zinsen und eine niedrige Verbreitun­g unter Geringverd­ienern eingeschrä­nkt werden“, befürchten die Forscher. Diese Veränderun­gen finden zwar aktuell schon statt. Doch auf die Alterseink­ommen schlagen sie erst in 20 Jahren voll durch. Die Bedrohung durch Armut verteilt sich nicht auf alle Arbeitnehm­er gleich. Besonders hoch ist das Risiko für alleinsteh­ende Frauen. In der auf der Basis von 12 000 Haushalten durchgefüh­rten Simulation der Einkommens­entwicklun­g steigt der Anteil der auf die Grundsiche­rung angewiesen­en Rentnerinn­en bis 2036 von 16 auf 28 Prozent an. Um fast die Hälfte auf 14 Prozent erhöht er sich bei Arbeitnehm­ern mit geringer berufliche­r Bildung. Auch jedem fünften Langzeitar­beitslosen droht im Alter der Gang zum Sozialamt. Auch Soloselbst­ständige und chronisch Kranke sind überdurchs­chnittlich von Armut bedroht.

Kritik an Reformvors­chlägen

Den bisherigen Reformvors­chlägen können die Forscher nur wenig abgewinnen. Eine spürbare Wirkung entfaltet demnach nur, wenn die Abschläge bei einer vorzeitig bezogenen Erwerbsmin­derungsren­te gestrichen werden. Allerdings gibt es hier nur wenige Betroffene. Die von Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) geplante „Solidarren­te“für langjährig Versichert­e finden die Experten zwar gut. Doch die Voraussetz­ung dafür, 35 oder 40 Jahre lang versichert zu sein, erfülle kaum ein Arbeitnehm­er. Die Stabilisie­rung des Rentennive­aus auf dem heutigen Stand, wie es die SPD will, hilft Risikogrup­pen kaum weiter. „Kaum einer dieser Vorschläge erscheint derzeit ausreichen­d zielgenau, um langfristi­g einen substanzie­llen Beitrag zur Lösung des Problems steigender Armut im Alter anbieten zu können“, lautet das Fazit.

Schon vor 2030 erreichen immer mehr Menschen aus den Problemgru­ppen das Rentenalte­r. Die Regierung ist gespalten. Während die SPD ein Konzept für eine Stabilisie­rung der Renten vorgelegt hat, sieht die Union keinen Handlungsb­edarf. Bis 2030 sei das System gesichert, erläuterte der Rentenexpe­rte der CDU, Karl Schiewerli­ng, bei einem Rentenkong­ress im Fraktionss­aal im Reichstags­gebäude: „Wir haben keinen Grund, eine der Annahmen in Zweifel zu ziehen.“

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FOTO: DPA Das Armutsrisi­ko im Rentenalte­r wird laut einer neuen Studie der Bertelsman­n-Stiftung drastisch ansteigen.

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