Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Liebe – ein Alptraum

Catalanis Oper „Loreley“bei den St. Galler Festspiele­n

- Von Werner M. Grimmel

ST. GALLEN - Eine Rarität haben die St. Galler für ihre Freilichts­piele vor der Stiftskirc­he ausgewählt: Alfredo Catalanis Oper „Loreley“. Inszeniert hat der aus New York stammende Regisseur David Alden, eher ein Spezialist fürs Barockfach, denn fürs 19. Jahrhunder­t.

Catalani (1854-1893) gehörte noch jener Komponiste­ngeneratio­n an, die erst begonnen hatte, sich stilistisc­h vom Übervater Verdi zu lösen. Das Libretto von Carlo d’Ormeville und Angelo Zanardini erzählt eine wilde Geschichte – von Walter, der kurz vor seiner Heirat mit der Markgrafen­tochter Anna seinem Freund Hermann beichtet, dass er der verführeri­sch schönen Loreley verfallen ist. Hermann rät ihm zur geplanten Ehe, obwohl er Anna selbst heimlich liebt. Just als Walter sich entschloss­en hat, Loreley zu vergessen, erscheint ihm diese erneut und bezirzt ihn heftig. Doch der Bräutigam bleibt standhaft. Hermann beschwört die Geister des Rheins, Loreley zur Rache anzustache­ln. Als Belohnung winkt ihr magische Schönheit. Mitten in der Hochzeitsz­eremonie tritt Loreley auf den Plan, blendet alle und ruft Walter zu sich. Anna stirbt.

Später geht im Dorf die Kunde von einer Nixe um, die auf einem Felsen über dem Fluss Schiffer mit weiblichen Reizen anlockt und dann ins Verderben zieht. Auch Walter.

Buntes Jahrmarkts­pektakel

David Alden hat einst mit seinen Münchner Händel-Inszenieru­ngen Furore gemacht. Nun entfaltet er vor der Front der Stiftskirc­he ein üppiges Jahrmarkts­pektakel. Die Bühne (Gideon Davey) wartet mit einer ländlichen Festwiese auf. Zwischen Tannenbäum­chen tummeln sich Märchenges­talten. Bunte Lämpchen blinken an einer Spukschlos­s-Attrappe.

Viele Details hat man auch anderswo schon gesehen. Geschäftsl­eute mit schwarzen Anzügen und Aktenkoffe­rn bevölkern in Zeitlupe die surreale Szenerie und lassen an Magrittes Männer mit Hut denken (Kostüme: Jon Morrell). Epileptisc­hes Zucken von abgetakelt­en Prostituie­rten erinnert an Inszenieru­ngen von Christoph Marthaler. Gestalten mit riesigen Babyköpfen kennt man von David Pountneys „Zauberflöt­en“-Produktion auf der Seebühne. Hier verdichten sich solche Chiffren zu optischen Alpträumen. Wolfgang Göbels Lichtdesig­n lässt eine märchenhaf­te, meist düstere Atmosphäre à la Stephen King entstehen und kommt ganz ohne Beleuchtun­g der Kathedrale­nfassade aus.

Die Loreley als Domina

Ausrine Stundyte, als Loreley anfangs eine ältere Frau mit Kurzhaarfr­isur, später eine Wiedergäng­erin von Jane Mansfield im engen roten Kleid mit blond wallenden Locken, tönt kraftvoll, neigt aber zu einem Übermaß an Vibrato. Timothy Richards (Walter), hier ein Gigolo mit hellblauem Anzug, offenem Hemd und Goldkettch­en, verfügt über einen Powertenor mit metallisch­er, stellenwei­se angestreng­t klingender Höhe. Giuseppe Altomare (Hermann) und Tatjana Schneider (Anna) bieten tadellosen Gesang.

Der Schweizer Dirigent Stefan Blunier bringt die betörenden Qualitäten der Partitur eindrucksv­oll zur Geltung. Am Ende landet Walter im Hafenborde­ll der „Bar Loreley“. Totenköpfe wachsen aus dem Boden, eine Hand greift nach ihm, während ihn Loreley als Domina gelangweil­t schmachten lässt. Als sie danach vom Pappkuliss­enfels singt, hat er sich bereits am Gestänge der Achterbahn aufgehängt.

 ?? FOTO: TONI SUTER ?? Ganz schön herunterge­kommen: Loreley (Ausrine Stundyte) sitzt in der Bar statt auf einem Felsen.
FOTO: TONI SUTER Ganz schön herunterge­kommen: Loreley (Ausrine Stundyte) sitzt in der Bar statt auf einem Felsen.

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