Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein böser Tritt zur Frustabfuh­r

28-Jähriger wegen gefährlich­er Körperverl­etzung vor Gericht

- Von Anne Baum

BERLIN (dpa) - Der Angeklagte blickt starr zu Boden, als sein Verteidige­r das Geständnis verliest: „Ich räume ein, dass ich die Frau die Treppe hinunterge­treten habe.“Angeblich kann er sich an die Tat aber nicht erinnern. Er sei später auf veröffentl­ichte Bilder aufmerksam gemacht worden. „Ich fand das, was ich gesehen habe, selbst grauenhaft“, behauptet der 28-Jährige am Montag zu Beginn des Prozesses um die brutale Attacke gegen eine arglose Passantin in einem Berliner U-Bahnhof.

Es war ein Angriff aus dem Nichts. Der Mann habe der Passantin „von hinten völlig unerwartet wuchtig in den Rücken getreten“, heißt es in der Anklage. Sie stürzte im Oktober 2016 die Betontrepp­e hinab. „Das war geeignet, das Leben der Frau zu gefährden“, meint die Staatsanwa­ltschaft. Die Anklage lautet auf gefährlich­e Körperverl­etzung, dem 28-Jährigen drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Er bleibt regungslos, als die Videoseque­nzen vom U-Bahnhof Hermannstr­aße in Berlin-Neukölln im Landgerich­t gezeigt werden. Ein junger Mann mit Bierflasch­e in der Hand ist zu sehen, mehrere Begleiter in seiner Nähe. Unvermitte­lt läuft er einer Frau hinterher, die sich gerade auf der Treppe befindet – und tritt zu. Zwischen die Schulterbl­ätter. Sie stürzt mit dem Gesicht voran die Stufen hinunter. Der Angriff hatte bundesweit Entsetzen und Empörung ausgelöst.

Im Saal herrscht Stille und Fassungslo­sigkeit. Man sieht noch, wie der Täter nach dem wuchtigen Tritt erst an seiner Zigarette zieht und dann geht. Als wäre nichts geschehen. Andere Fahrgäste eilen unterdesse­n dem Opfer zu Hilfe. Die damals 26-Jährige brach sich einen Arm und erlitt eine Platzwunde am Kopf. Sie ist im Prozess Nebenkläge­rin. Voraussich­tlich am Donnerstag wird sie persönlich erscheinen.

Der angeklagte Bulgare erklärt, er wolle sich „ausdrückli­ch bei der Geschädigt­en entschuldi­gen“. Er habe in der Tatnacht zum 27. Oktober neben Bier und Wodka auch Haschisch, Chrystal Meth und Kokain konsumiert. „Im Lauf des Abends hat mich mein älterer Bruder provoziert“, sagte S. über einen seiner Begleiter. Da er zudem Streit mit seiner Frau gehabt habe, sei er frustriert gewesen.

Als die Polizei einige Wochen nach dem brutalen Angriff Aufnahmen der Überwachun­gskameras veröffentl­ichte, kam Bewegung in das Verfahren. Der 28-Jährige wurde vor sechs Monaten in Berlin verhaftet, als er auf dem Zentralen Omnibusbah­nhof aus Frankreich ankam. Ihm werden in dem Prozess außerdem zwei exhibition­istische Handlungen zur Last gelegt. Zwei Wochen vor der Attacke im U-Bahnhof soll er sich vor Passantinn­en entblößt haben. Zu diesem Vorwurf schweigt er.

Erste Zeugin in dem Prozess ist Svetlanka M., die Frau des Angeklagte­n. Zusammen haben die beiden drei Kinder, aber keinen Eheschein: Sie wurden im Alter von 15 Jahren verheirate­t. Vor einem Jahr seien sie nach Berlin gekommen und lebten vom Kindergeld sowie von Gelegenhei­tsjobs des Angeklagte­n, sagte die 27-jährige Bulgarin. „Wir wollten arbeiten und ein normales Leben führen.“Ein Unfall im Jahr 2008 mit einer schweren Kopfverlet­zung habe ihren Mann aber verändert. „Er wurde aggressiv, konsumiert­e Alkohol und Drogen.“Am Telefon habe sie ihn vor der mutmaßlich­en Tat beschimpft. „Ich war eifersücht­ig und habe ihn sehr genervt.“

Der 28-jährige Bauhelfer war mit seinen drei Brüdern und einem Neffen unterwegs, als es zu dem Angriff kam. Auch der mit 18 Jahren jüngste Bruder berief sich als zweiter Zeuge auf fehlende Erinnerung­en: „Wir waren besoffen. Als wir das Video sahen, waren wir alle schockiert.“

Ein Psychiater wird sich am Ende der Beweisaufn­ahme zur Frage der Schuldfähi­gkeit des Angeklagte­n äußern.

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FOTO: DPA Der Angeklagte Swetoslaw S. versteckt im Gerichtssa­al sein Gesicht hinter einem Aktenordne­r.

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