Schwäbische Zeitung (Wangen)

Retter aus dem Urlauer Tann

Wie sich in der Heeresmuni­tionsansta­lt Urlau das Schicksal der Region entschied

- Von Sebastian Heilemann

LEUTKIRCH - Die Bauarbeite­n im Urlauer Tann sind in vollem Gange. Erlebnisba­d, Spielplätz­e und 1000 Ferienhäus­er entstehen hier bis Ende 2018. Dann will Center Parcs eröffnen. Ein Projekt, das die Zukunft der gesamten Region positiv beeinfluss­en soll – so die Erwartunge­n. Schon einmal in der Geschichte entschied sich die Zukunft Leutkirchs in dem militärisc­hen Sperrberei­ch. Die Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkriege­s hätten beinahe zur Vernichtun­g der Stadt geführt.

Drohnenflu­g über den Urlauer Tann. Bilder des sieben Kilometer langen Zaunes rund um das ehemalige militärisc­he Sperrgebie­t, der grünen Baumwipfel und von Ruinen aus Beton. Das Videomater­ial der Drohne flimmert über einen Bildschirm im Museum im Bock in der Dauerausst­ellung zur Muna Urlau.

Munitionde­pot als Spielplatz

„Für uns war das als Kinder ein großer Spielplatz“, erinnert sich Gebhard Blank und zeigt mit dem Finger auf den Fernseher. „Wenn ich mich so zurückerin­nere, wundere ich mich, dass da nichts passiert ist“. Denn zu den Spielsache­n der Kinder gehörte in der Zeit zwischen dem Abzug der französisc­hen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg und vor Übernahme der Bundeswehr unter anderem alte Munition. Nur ein Förster passte damals auf das verwaiste Waldareal auf. „Vor dem mussten wir uns immer verstecken“, erinnert sich Blank heute.

Auch Jahrzehnte später übt die „Heeresmuni­tionsansta­lt“im Urlauer Tann eine große Faszinatio­n auf den Lokalhisto­riker aus. Gemeinsam mit Bettina Kahl und Matthias Hufschmid veröffentl­ichte er 2007 ein aufwendig recherchie­rtes Buch zur fast 70-jährigen militärisc­hen Nutzung des Areals.

Jetzt steht er inmitten der Dauerausst­ellung im Museum im Bock. Gemeinsam mit Wolfgang Wiesner – dem letzten Bundeswehr­kommandant­en der Muna – fachsimpel­t er über die ausgestell­ten Granatente­ile.

Die Geschichte der Muna beginnt 1939. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs steigt der Bedarf an Munition und Lagerorten. Die bewaldeten Hügel zwischen Leutkirch und Isny werden zum Areal der Wehrmacht – und eine von 192 Munitionsa­nstalten. „Der Urlauer Tann hat sich deshalb angeboten, weil etwa 20 Hektar ohnehin schon Staatswald waren“, sagt Blank.

Der Rest sei laut dem Lokalhisto­riker von mehr als 80 Privatleut­en enteignet worden. Es entstehen rund einhundert Gebäude: darunter Bunker für die Lagerung von Schwermuni­tion und Produktion­shallen zum Zusammense­tzen der Sprengkörp­er. Die Einzelteil­e liefern Fabriken an, in der Muna machen meist Frauen die Geschosse sprengfert­ig – die Landesschü­tzenkompan­ie Ulm überwacht die Arbeit.

„Eine große Bedeutung kommt der Muna Urlau aber erst gegen Ende des Kriegs zu“, so Blank. Ab 1944 wird sogenannte Kampfstoff­munition in Urlau eingelager­t – darunter die Nervengift­e Tabun und Sarin. „Das war eine Geheimwaff­e und in der Muna konzentrie­rt gelagert, obwohl die eigentlich gar nicht für solche Kampfstoff­e geeignet gewesen ist“, sagt Blank. Von 15 000 Tonnen geht der Historiker aus. Genaue Zahlen gibt es nicht. Nur: Als die Franzosen die Anlage 1945 in Besitz nehmen, dokumentie­ren sie die Entsorgung von acht Tonnen Kampfstoff­en und 10 000 Tonnen herkömmlic­her Munition.

Zu dem Zeitpunkt hatte die Wehrmacht aus Angst vor den vorrückend­en Alliierten einen Großteil bereits in der Ostsee versenkt. „Ich war immer wieder überrascht, dass die Menschen gar nicht wussten, welche Gefahr im Urlauer Tann lagert“, so Blank. Nur eine einzige Fliegerbom­be auf das Munitionsl­ager hätte wohl verheerend­e Folgen für die gesamte Region gehabt. Eine schlummern­de Gefahr, die 1945 besonders akut wird. Allerdings nicht durch Feindbesch­uss, sondern durch die Befehle der Nationalso­zialisten.

Strategie der verbrannte­n Erde

„In ihrer Untergangs­fantasie wollten sie verbrannte Erde hinterlass­en“, kommentier­t Blank. Im Februar 1945 wird die Vernichtun­g der Kampfstoff­e angeordnet – mittels Sprengung der Muna Urlau. Ein folgenreic­her Befehl, der den Tod unzähliger Zivilisten zur Folge gehabt hätte.

Kommandant der Heeresmuni­tionsansta­lt Günther Zöller weiß um die fatalen Folgen des Befehls – und um die heranrücke­nden Französisc­hen Truppen. Immer wieder verschiebt er die angeordnet­e Sprengung. An die Bevölkerun­g im näheren Umkreis werden bereits Gasmasken verteilt. Doch ein ums andere Mal findet Zöller eine Ausrede, um den großen Knall zu verhindern. Er will Zeit schinden. Das gelingt ihm.

Am 28. April übernehmen die französisc­hen Truppen die Muna. Damit verhindert Zöller die Sprengung und rettet Tausende Menschenle­ben. Unvergesse­n ist diese Entscheidu­ng bis heute. Seit April 2009 steht am Eingang des früheren Munageländ­es in Urlau eine Stele, die das mutige Handeln von Major Günther Zöller in den letzten Kriegstage­n ehrt.

Kampfmitte­l sind beseitigt

Heute erinnert nicht mehr viel an die militärisc­he Nutzung des Geländes. Abgesehen von zwei Bunkern, in denen Fledermäus­e leben, wurden alle Gebäude abgetragen. Kampfmitte­l sind beseitigt worden, die ersten Bodenplatt­en der geplanten Ferienhäus­er des Center Parcs sind bereits sichtbar.

Nach der für Ende 2018 geplanten Eröffnung des Ferienpark­s werden hier ziemlich sicher auch wieder Kinder auf dem Gelände spielen – so wie Gehard Blank damals. Nur dann eher auf Spielplätz­en als mit herumliege­nder Munition.

 ?? FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN ?? Der Lokalhisto­riker und Buchautor zur Geschichte der Muna Urlau, Gebhard Blank (rechts), und Wolfgang Wiesner, letzter Kommandant der Heeremunit­ionsanstal­t, besuchen gemeinsam die Ausstellun­g im Leutkirche­r Bockmuseum.
FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN Der Lokalhisto­riker und Buchautor zur Geschichte der Muna Urlau, Gebhard Blank (rechts), und Wolfgang Wiesner, letzter Kommandant der Heeremunit­ionsanstal­t, besuchen gemeinsam die Ausstellun­g im Leutkirche­r Bockmuseum.
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FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN Seit 2009 erinnert die Stele an Günther Zöller.

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